Ahab – So etwas wie ein Konzertbericht

Meine Sympathien für den Sänger waren innerhalb der letzten Minuten gewachsen. Nicht, weil er plötzlich einen Sinnes- und Selbstbildwandel vornahm, seine offensichtliche Arroganz gepaart mit der Lächerlichkeit seines schädelumspannenden Mobilmikrophons plötzlich abgelegt und das Publikum mit gewinnender Geste für sich gewonnen hätte. Nein, einzig und allein die Band wechselte – und mir ihr der Sänger.

Der jetzige trägt langes blondes Haar, dessen glanzvolle Stärke und schüchterne Locken Rapunzel mit Neid versehen und so manchen Märchenprinzen in euphorische Heldentaten gestürzt hätten. Addiert man noch seine Brille, so will man sich nicht recht vorstellen, dass die Geräusche, die von der Bühne hinab seinem Mund entweichen, tatsächlich Produkt seines Leibes sind.
Denn aus finstersten Tiefen brodeln seine Worte hervor, weben sich mit düsterem Klang in die Mauer aus Wucht, die durch unsere Hörorgane birst, malen farbferne Bilder der Leere. Wogende Weiten breiten sich in meinem Geiste aus, spülen mich fort in einen sogenden Abgrund der Schwere.

Ich lächle, als guttural Silben geformt und in die lauschende, nickende Menge geschleudert werden, schließe die Augen und treibe durch den schwarzen Ozean in mir.

Das Lied verebbt, und ich lasse Blicke schweifen. Meine Gedanken kleben kurz an der klischeemäßig niedrigen Zahl femininer Wesen in der schwarzgewandeten Langhaarmasse, bleiben an dem Mädel hängen, dem ich vorhin noch einen Schokoriegel schenkte, weil ihre Blicke auf meinen ihn beinahe verzehrt hatten. Sie pries mich einen Helden, und sanft und wortarm wehrte ihre trunkenen Dankesbekundungen ab.

Irgendjemand bewirft die Stille mit seinem Musikwunsch. „The Hunt“ möge es sein, und ich frage mich, wie oft auf Iron-Maiden-Konzerten „Fear Of The Dark“ gewünscht wird – obwohl es jedesmal zu hören ist.

Als wieder krachender Klang durch den Äther kriecht, als das Schlagzeughämmern bärtige Köpfe in monotoner Wippbewegung vereint, spüre ich kurze Verwirrung. Denn obwohl das derzeit dargebotene Stück in diesen Augenblicken nur Schlagzeug und Bass, nur Rhythmus und Rhythmus enthält, verfehlt das Wippen meines Vordermanns jeden einzelnen Taktschlag, bewegt sich mit beeindruckender Sturheit irgendwo zwischen dem, was die Bühnenwerker namens Ahab produzieren.

Seine Haare sind zu kurz, um lang zu sein, und zu lang, um noch Frisur genannt zu werden, vielleicht irgendwo auf dem Weg zur Langhaarigkeit stehengeblieben und nicht weiter beachtet. Ich weiche zurück, damit ihr Nicken mich nicht findet und betrachte seine Kutte, die reichlich Lesestoff bietet. Vielleicht, um genügend Platz für sämtliche Lieblingsband-Aufnäher zu haben, wählte er die Weste mehrere Nummern zu groß, was zur Folge hat, dass stets nur wenige Minuten verstreichen, bis er ihre Position an seinem Leib korrigieren muss.

Sein Bart ist gut gepflegt, stelle ich fest, und auch seine Haar wirkt, als wäre es unlängst shampooniert worden. Selbst seine Brille weist keinerlei Klischeefettflecken auf. Dennoch fühle ich mich unwohl, trete einen halben Schritt zur Seite und spähe durch eine Lücke nach vorn, dorthin, wo mit wenigen Bewegungen Kräche erzeugt werden.

Im Publikum ist das Bewegen umso intensiver. Ein entblößter Oberkörper in der ersten Reihe kennt jedes Wort und jeden Schlagzeughieb, wirft seine Tattooarme gen Clubdecke, schlägt sich im Takt kraftvoll gegen die Brust und lässt sein Haar wirbelnd die Musik ummalen.

Meine Blicke drängen sich vorbei an dem glatzigen Kopf, der mit unermüdbarer Stete seine Arme in die Luft sticht, um ein winziges Gerät zu halten, das fortwährend Bilder und zuweilen auch Ton dokumentarisch verinnerlicht. Dass seine Blitzbilder aus dieser Entfernung nur zuweilen gelingen, hält ihn nicht von weiterem Versuchen ab.

Hinter ihm positionierte sich ein Hochgewachsener, dessen Kleidung – beige Hose, graues Shirt – ihn weniger zum Außenseiter machen als seine ständigen verwunderten Blicke auf die Umgebung. Jede einzelne Person wird genauestens gemustert, als gelte es, sich jedes Detail für einen künftigen Abfragetest einzuprägen. Seinem Haupt fehlt es an schüttelbarem Gewächs und seine Faust rammt zusammen mit dem wuchtigen Bass immer wieder nach unten ins Leere, verleiht seiner Teilnahme an dem monströsen Klangbild Ausdruck.

Schräg links von mir befindet sich ein Paar. Paare sind immer wieder erbauliches Anschauungsmaterial, wenn man herauszufinden versucht, wer wen mitbrachte. Bei hiesigem Exemplar ist es offensichtlich der Mann, der durch finstere Klangtiefen zu kriechen sehnte. Seine Freundin hingegen läuft stetig zwischen ihm und einem Irgendwo hin und her, das sie mit schnapsigem Bier versorgt und dennoch nicht imstande ist, ihre Mundwinkel nach oben zu ziehen.

Das Schokoriegelmädel ist in der Masse verschwunden, deren allgemeine Langhaarigkeit eine Geschlechterbestimmung ohnehin erschwert. Meine Aufmerksamkeit schweift über sie hinweg, zurück zur Bühne, dorthin, wo das Dröhnen entspringt, das mich noch immer in stille, fast reglose Begeisterung hüllt. Nur mein Kopf wippt ein wenig, als mich die Woge davonträgt.


Ahab – „The Hunt“

Der Kehrling

Ich blickte nach draußen. Mein Atem ließ die Scheibe beschlagen, und unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Ich wollte keinen Augenblick verpassen.

Und ich musste leise sein, lautlos, bewegungslos, durfte mich nicht zeigen, ihn nicht verscheuchen, nicht jetzt, nicht nachdem es mir endlich gelungen war, ihm zu begegnen, ihn zu sichten.

Ich schmunzelte. Niemand würde mir glauben. Als würde ich versuchen, sie von der Existenz des Yetis zu überzeugen, würden meine Freunde später über meinen Bericht lachen und mit den Köpfen schütteln. Doch ich würde mich erinnern, würde wissen – und dieses Wissen war mir nicht zu nehmen.

Natürlich: Sähe ich ihn nicht dort draußen seiner Wege ziehen, Meter für Meter hinter sich bringen, sich durch den nächtlichen Schnee wühlen, so glaubte ich vermutlich selber nicht daran, dass es ihn gab. Doch es gab ihn. Hier und jetzt.

Ich wohnte gerade anderthalb Wochen in Stuttgart, da hörte ich erstmals von ihm. Flüsternde Stimmen sprachen vom Kehrling, vom Kehrle, gar vom Wochenkehrlsche, von jener Kreatur, die nachts, wenn alle schliefen, heimlich und ungesehen Stuttgarts Fußwege reinigte. Und nicht nur das: Sorgte man sich inmitten tiefsten Winters beim morgendlichen Aufstehen über zugeschneite Pfade, so konnte man sich sicher sein, dass er bereits da gewesen war, dass er mit hochwertigstem Werkzeug Furchen in das bedrohliche Weiß gezogen und somit den Tag gerettet hatte.

Die Eingeweihten versuchten zu verschleiern, so gut es ging. „Kehrwoche“ nannten sie das Ritual, das sie angeblich dazu verpflichtete, die Bereiche vor ihren Häusern und Wohnungen frei von Sudel zu halten. Doch mich konnte man nicht täuschen: Den Kehrling gab es wirklich.

Wie sonst ließ es sich erklären, dass die Straßen so rein, so frei von Unrat und Baumprodukten waren? Wie konnte es sein, dass bereits am frühesten Wintermorgen der Schnee keine Chance mehr hatte, auf den Wegen heimisch zu werden, wo doch niemand, wirklich niemand, die Anstrengungen auf sich nehmen würde, mitten in der Nacht nicht nur körperlich schwer, sondern auch noch lautlos zu arbeiten? Wie konnte es sein, dass Schnee, wenn er tagsüber fiel, nur selten entfernt wurde, doch über Nacht plötzlich begann, die Wege zu meiden? Wie konnte das sein?

Den Kehrling gab es, nun war es sicher. Denn dort draußen lief er, arbeitete er, im schwachen Licht der Laternen nur als Silhouette erkennbar – und doch ganz zweiffellos der Kehrling. Lautlos beseitigte er den wenigen Schnee, der die Frechheit besessen hatte, über Nacht die heiligen Pfade zu befallen, und ich bewunderte sowohl seine Präzision als auch seine Stille. Jeder normale Nachbar hätte alle Schlafenden ihren Träumen entrissen, hätte Beschwerden über den unnötigen Fünf-Uhr-Krach ertragen müssen – doch der Kehrling gab keinen Laut von sich, tat sein Werk, als gäbe es nur dieses.

Ich drehte mich zu meinem Bett um. Eine Stunde blieb mir noch, bis der Wecker Unmengen von Krach um sich werfen würde. Vielleicht sollte ich mich noch einmal hinlegen.

Als ich wieder aus dem Fenster blickte, war der Kehrling verschwunden. Als hätte ihn der frisch beseitigte Schnee plötzlich verschlungen. Nur der Fußweg erinnerte noch an ihn, glimmte rein und unbesudelt im matten Licht des Mondes.

„Bis bald.“, hauchte ich an die Scheibe und ging wieder schlafen.

Telefonat

„Hallo? Hallo?? Ich versteh dich nicht so gut. Der Empfang ist so schlecht. Ja, ich bin gerade in der Bahn. In der Ba-hahn! Ja, auf dem Weg nach Hause. Was? Nein, ich durfte heute früher… Was? Ich durfte heute früher, sagte ich. Früher ge-hen. Nein, ich hatte nicht frei. Nächste Woche habe ich frei. Allerdings nur Dienstag. Und vielleicht Freitag. Mal sehen, was der Chef sagt. … Nee, dem geht’s gut. Nee, echt, dem geht’s gut. Puh, vor zwei oder drei Wochen, glaube ich, vielleicht auch vor vier. Da habe ich ihn auf der Straße getroffen. Hat gesagt, die Stadt sei scheiße, Stuttgart sei scheiße, die Stuttgarter sowieso. Hat er ja auch irgendwie recht. Was? Ja, klang schon ein bisschen verbittert, aber schau dir doch mal die Stuttgarter an. Alles hirnlose Affen. Was? HIRNLOSE AFFEN! Die Stuttgarter sind allesamt hirnlose Affen, hab ich gesagt. Hab ich ja auch zu Rainer gesagt. Rainer, hab ich gesagt, die Stuttgarter sind allesamt hirnlose Affen. Hat er mir recht gegeben. Stimmt ja auch. … Neenee, wir haben nicht lange geredet. Fünf Minuten vielleicht. Drei, höchstens. Habe ja immer so viel zu … Neenee, sonst ist alles super. Ja, habe mich ganz gut eingelebt. Naja, ein bisschen dämlich sind die hier schon alle, stimmt schon. Sehen nicht nur scheiße aus, sondern sind es auch. Hihi. Aber muss man sich dran gewöhnen. Wenn man in eine so hässliche Stadt wie Stuttgart zieht, sag ich immer, muss man wohl mit so hässlichen Leuten rechnen. Jaja, genau. Ich nehme mir immer ein Buch und den iPod mit, wenn ich S-Bahn fahre. Ist ja nicht zum Aushalten. Wie die alle aussehen! Und stinken tun die. Das glaubste gar nicht! Wie die stinken! Nach jeder Bahnfahrt muss ich immer erstmal ausgiebig duschen, um den Gestank loszuwerden. Was? Ja, genau, die haben’s ja auch nicht leicht in ihrer hässlichen Stadt mit ihren armseligen Existenzen… Neenee, höflich sind die nicht. Die stinken nur, rempeln, und schreien rum. Und gucken blöde. Du glaubst gar nicht, wie blöde die hier gucken können. Ich meine, ich lebe erst seit zwei Wochen hier, aber so viele Idioten habe ich mein ganzes Leben noch nicht gesehen. Jetzt wieder. Ich stehe hier harmlos rum, und die schauen mich an, als wären sie hirnlose Dummbratzen. Naja, sind sie wahrscheinlich auch. Hihi. Die ganze Bahn voll mit hirnlosen Dummbratzen. Hihi. … Was? Waaas? Ach so, jaja, voll ist die Bahn. Ist immer voll. Nee, die meisten fahren bestimmt schwarz. Sind doch alles Kriminelle hier. Alles Kriminelle. Und wie die stinken! Hirnlose Affen, sage ich immer. Was? … Süße, ich muss jetzt Schluss machen. Ein paar Idioten wollen mich anscheinend irgendwas fragen. Schauen ganz grimmig, als ob ich irgendwas verbrochen hätte. Anscheinend wollen sie … Hey, das ist mein Handy … Hey, was…?“

MiSt – Universum

Obwohl meine Ausgehfreizeit derzeit beschränkt ist, habe ich die beliebte Serie „MiSt – Morast in Stuttgart“ nicht vergessen und präsentiere nun einen weiteren Teil.

Stuttgart, dachte ich mir, als ich eine Lokalität namens „Universum“ suchte, Stuttgart, zeig, was du drauf hast. Zeig dich in Schwarz! Denn noch immer hatte ich weder bedeutende gothische noch metallische Szenerien entdeckt, nur einzelne Gattungsvertreter, die jedoch in fast jedem Fall unangehm peinliche Exemplare waren und keineswegs Anschlussbedürfnis erweckten.

Das „Universum“ war wohl einst, vor einem Jahr oder so, vom Campus in Stuttgart-Vaihingen in die Innenstadt umgezogen, was damals vorwiegend bejubelt wurde. Denn nicht nur war die Akustik in der neuen Lokalität besser, nein auch die Anbindung wusste nun zu begeistern. Das „Universum“ befand sich nun im Zugang zur U-Bahn-Station am Charlottenplatz, beziehungsweise mehr oder minder unter selbigem Platz, also in der zentrumigsten Zentralität Stuttgarts.

Schön, dachte ich, fuhr zur S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte, lief ein paar Minuten, wich einem im Weg stehenden Fischmarkt aus und fand das „Universum“ dort, wo ich es vermutete. Musik tönte, und ich erkannte AC/DC. Classic Rock also, dachte ich, und erinnerte mich dunkel an die Musikgattungsbeschreibungen der einzelnen Floors, die ich irgendwo las.

Doch dies war kein Floor, sondern die Sommerbar, also eine Anlage, eine Theke, ein paar Tische und Stühle, sowie ein paar Sonnenschirme. Mitten in der Nacht.
Die Bar war recht gut besucht, bedachte man die nicht unbedingt julischen Temperaturen um 15°C. Ich ging vorbei, folgte einer Dame mit Immortal-Shirt und landete in der nächsten Bar, diesmal innerhalb des „Universum“s. Ein netter Pfeil wies mir die Richtung zum „Club“, wo ich die Tanzflächen vermutete. Denn draußen hatte es trotz annehmbarer Musik nichts dergleichen gegeben.

Was ich besuchte, war die Bleeding Nose Party, die mir fünf Euro Eintritt nicht unbedingt studentenorientiert schien, aber dafür wohl regelmäßig einmal im Monat stattfand. „Cool“, sagte der Stempel, der sich nun auf meinem rechten Arm befand. Nun ja, dachte ich und ging weiter.

Der erste Floor war gar keiner. Ein winziger Zugang schuf Weg zu einem winzigen Raum, der noch nicht einmal ein echter Raum war, wie die Wände aus schwarzem Stoff bewiesen. Ein paar hiphopeske Gestalten saßen herum, während den Boxen mir unbekannter Krach entströmte, der mich zum Weitergehen aufforderte.

Hier durfte man offensichtlich rauchen, denn es gab noch ein rauchfreies drinneres Drinnen, dessen breiter und offentüriger Zugang jedoch kein Hindernis für Rauchschwaden darstellten. Doch mich darüber zu beschweren, beabsichtigte ich keineswegs.

Am zweiten Floor ging ich vorbei, ohne ihn überhaupt bemerkt zu haben. Sicherlich, ich stellte fest, dass die Musik plötzlich eine andere war, doch übersah ich den den dazugehörigen Kopfschüttelbereich. Statt dessen nahm ich abfällige Blicke auf mein zugegebenermaßen eher siebzigerjahriges als echtmetallisches Outfit in Kauf und ging eine geneigte Ebene hinab zum dritten Floor. Ich erwarb eine Afri-Cola [2,60 Euro, anscheinend pfandlos], setzte mich auf einen Barhocker irgendwohin, wo ich niemandem im Weg war, und wartete auf Gutmusik.

Vergeblich.

Was lief, war vielleicht Hardcore, vielleicht auch etwas anderes, auf jeden Fall Musik, für die die DJs in der Magdeburger Factory verlacht worden wären. Obgleich ich mich immer gegen die Metallerklischeebefolgung gewehrt und mich geweigert hatte, mit Aufnähern besetzte Kutten und Lederhosen sowie sich rasch leerende Zigarettenschacheln und diverse Biere mit mir herumzutragen, wünschte ich mir nun, dass der Metal ein wenig mehr Trueness bekäme.

Auf der Tanzfläche headbangten tatsächlich Leute, posierten ebenso albern-maskulin wie ich es von Metallköpfen gewohnt war, doch sie sprangen auch und genossen Klänge, die ich schlichtweg lächerlich fand. Dass dafür mal wieder die größte Fläche hergegeben worden war, hielt ich plötzlich für typisch stuttgartisch.
Dass der Klang offensichtlich mies war, machte es jedoch nicht schlimmer.

Ich ging zurück, versuchte, den zweiten Floor ausfindig zu machen. Dabei kam ich an einem Punkt vorüber, an dem die Musiken der beiden letzten Tanzflächen zu einem unangenehmen Lärmbrei verschmolzen. Je näher ich dem zweiten Floor kam, desto lauter wurde auch dessen Musik und desto vernachlässigbarer die andere.

Hier lief Death Metal, unfreundlichster, rascher Death Metal, eine Musikrichtung, die ich schon besser fand als bisher Gehörtes, doch noch immer verhältnismäßig uninteressant. Der Raum war erneut keiner, sondern ein durch Tarnnetze abgetrenntes Stück Flur. Dass der Lärm der anderen Tanzfläche nicht verbehmbar war, lag vorwiegend an der eigenen Lautstärke. Ich überlegte, ob ich den Betreibern mittelen sollte, dass weder Stoff noch Netze sonderlich akustikbedämpfend wirken.

Ich wies nicht, statt dessen gab ich nach ein paar Liedern die Hoffnung auf Verbesserung auf und ging erneut zum winzigsten Floor. Innendrin saßen ein paar, niemand schüttelte mit dem Schädel, die Musik lief, doch war kaum erkennbar. Der Zugang war bemenscht, und plötzlich fand ich es absolut unbedeutend, dieses Kabuff nicht betreten zu haben.

Ich schlenderte zurück zur Haupttanzfläche, platzierte mich irgendwo an den Rand ins Halbdunkel. Davon gab es nicht viel; insgesamt war die Lokation zu gut beleuchtet – allerdings auf schlechte Weise. Ein Genrewechsel war auch nach ein paar weiteren Songs nicht absehbar, Halbherzig hüpften ein paar Pseudometaller auf der Tanzfläche herum; jemand machte Fotos von Frauen, die zwar bangen konnten, dabei erstaunlicherweise aber unspannend aussahen. Meine Laune sank.

Ich hätte mir mehr Leute gewünscht. Verteilt auf die beiden Bars und die Zwischenbegehlichkeiten standen sicherlich genug Menschwesen herum, um den Club mit angenehmer Fülle zu bestücken. Doch so wirkte jeder einzelne irgendwie wie präsentiert. Das war vor allem deswegen schlecht, weil die vorherrschende Farbe keine war. Oder jede. Und weil die vorherrschende Haarlänge sich nicht durch Schüttelbarkeit auszeichnete.

Wenn das die Schwarze Szene ist, dachte, ist sie jedenfalls nicht schwarz.
Ein letztes Mal, dachte ich und ging zurück zum Tarnnetzfloor. Der Musikstil hatte sich minimal gewandelt, ein Weißshirtiger und ein Kurzhaariger bewegten sich irgendwie zu unschönem Kreischklang. Ich ging.

Ein letzter Blick in den Minifloor, wo es am hiphopigsten überhaupt aussah und wo ich mich erneut nicht hineintraute ließ mich folgende Weisheit erkennen: Kurzhaardeejays sind keine Gutmetallmusikgaranten.

Unterwegs hatte ich meine Colaflasche geleert und irgendwo abgestellt, und nach gerade mal einer Stunde Aufenthalt ging ich in Richtung der Nachtbusse, enttäuscht und tatsächlich ein wenig wütend. Wenn dies das „Universum“ war, dachte ich, dann bin ich froh, dass ich in einem anderen lebe.

MiSt: Der Schlossplatz

Jene Wesen, jene Daseinsstile, die gemeinhin die Bezeichnung „alternativ“ tragen könnten, scheinen bei oberflächlicher Betrachtung in Stuttgart nicht zu existieren. Will man sich von dem in der Innenstadt allgegenwärtigen Schickimickiglitzerglamour abgrenzen, pflege ich zu scherzen, erwirbt man eine von Designerhänden fachgerecht zerfetzte Bluejeans. Oder bezahlt im Bioladen vier Euro für 100 Gramm staubtrockenen Gebäcks. Oder bevölkert die Steinplatten vor dem Apple-Gravisstore.

Allein die innenstädtischen Straßennamen, Königs-, Kronprinz-, und Kronenstraße lassen keinen Platz für jenes bourgeoise Gesindel, das ich von früheren Wohnorten kenne. Selbst die Schwarzgewandeten wirken so, als bestünde ihr Protest, ihre Abgrenzung von den gesellschaftlichen Üblichkeiten darin, die elterlichen Kreditkarteninhalte in überteuerten Gothicmarkenläden zugunsten von Geschmacksarmut zeugender Ungutheiten zu reduzieren.

Sollte man sich also dazu entschließen, bei der empfehlenswert guten asiatischen Schnellfütterei innerhalb der Königsbau-Passagen eine Mahlzeit zu erwerben und diese mangels gebäudeinterner Sitzmöglichkeiten draußen, im Freien, am Schlossplatz zu verinnerlichen, darf es nicht wundern, wenn die Vorbeilaufenden und auf den Stufen Sitzenden den Anschein erwecken, Laufstege beraubt und Unsummen für Stoffetzen ausgegeben zu haben.

Dabei ist zu bemerken, dass preisintensive Mode nicht zwingend etwas mit Ästhetik zu tun haben muss. Derzeit sind es beispielsweise die 80er Jahre, denen intensiv gefrönt wird, obwohl diese mit Sicherheit nicht die äußerlich anspechendste Epoche gewesen war. Auffällig ist auch, dass jene, die mit der allgegenwärtigen Trendität aus finanziellen oder anderen Gründen nicht mitzuhalten imstande sind, sich dennoch darum bemühen und somit das Kunststück vollbringen, ohnehin Unansehliches zusätzlich zu widerwartisieren.

Stuttgart wimmelt von Wesen, die in meinem eigentlich Deutsch bevorzugenden Denken den Titel „First-Look-Beauties“ zugeteilt bekamen, die es also verstehen, sich zu gewanden und zu bemalen, sich zu frisieren und zu präsentieren, aber auf den zweiten Blick einfach nur ordinär und öde wirken.

Das Wimmeln ist besonders intensiv am bereits erwähnten Schlossplatz, an dem man nicht versuchen sollte, mit einer Asiamahlzeit bepackt einen Cafétisch zu beanspruchen. Unabhängig davon, wieviele Eisbecher und Kakaogetränke man zu bestellen und bezahlen gewillt ist: Fremdessen wird nicht geduldet. Also begebe ich mich sich eislos auf den eigentlichen Schlossplatz, dorthin, wo vor dem Neuen Schloss eine von sauberen Wegen und sorgsam gepflegten Rasenflächen umkränzte Concordia-Statue thront und allerlei Stuttgarter Bevölkerungsteilnehmer zu ruhigen Minuten auf Wiesen und Bänken einlädt.

Ich nehme dankend an und lasse mich auf einer Bank nieder, die obwohl von Sonnenschein sanft gestreichelt keinen einzigen Besetzer aufweist. Als ich zu essen beginne, erkenne ich den Grund: Ein leichter Windhauch reicht aus, um mir feuchte Springbrunnengischt ins Gesicht zu wehen. Schmunzelnd vertilge ich die mitgebrachte Nahrung. Dafür brauche ich lang genug, um zugunsten einer Testreihe insgesamt drei Mal gefragt zu werden, ob ich rauchen würde; zwei Mal davon vom selben Kerl.

Der Feuchte entweichend begebe ich mich aufs Grün. Dafür, dass ich noch vor wenigen Zeilen die Schickimickigarde beprangerte, ist die Wiese erstaunlich dicht mit ebenjenen Gestalten besät. So etwas wie Privatsphäre existiert hier nicht, doch das hält keinen Muskelitaliener davon ab, den nackten Oberkörper Sonnenstrahlen und Frauenblicken auszusetzen. Eher im Gegenteil.

Von der Königsstraße ertönt unangenehmer Straßenmusikergesang, doch im Rahmen meiner Zufriedenheit entdecke ich in mir großzügige Ignoranz. Ein junger Türke durchwühlt Mülleimer für Mülleimer nach Pfandflaschen, während sein Vater unbeteiligt wartend daneben steht. Rechts neben mir unterhalten sich zwei Erstehilfekursteilnehmende über blutigste Unfälle und links erdreistet sich jemand, mir zu nah zu sein. Irgendwo entdecke ich schließlich sogar zwei Punker und bin mittelschwer beeindruckt.

Der Schlossplatz erweist sich auch in anderer Hinsicht als sympathischer Kerl. Denn beispielsweise bei der diesjährigen Ausgabe des Animationsfestivals war er Anlauf- und Treffpunkt und der Ort, wo eine Bühne nicht nur erstaunlich gute Musiker präsentierte, sondern auch eine monströse Leinwand über mehrere Abende hinweg pixareske Trickfilme darbot. Wer nicht auf einer der raren und unbequemen Bierzeltbänke sitzen wollte, pflanzte sich eben ins Grün, schaute Bolt oder Shrek 3 und erfreute sich des sommerlichen Flairs.

Denn das bietet der Schlossplatz: Einen Hauch Mediterranität, eine Andeutung beschwingter Freiluftkultur.

Angefüllt mit innerem Lächeln besorge ich mir ein Eis, kehre zu meiner Bank zurück und betrachte die zahlreichen Menschen, die sich inmitten der Einkaufsbereiche zu einer entspannten Minute niederließen. Als der Wind mir erneut Springbrunnennässe ins Gesicht weht, schließe ich vergnügt die Augen.

MiSt- Kunstmuseum Stuttgart

Raus, war es, was ich wollte. Kultur, um genau zu sein.

Ich war gerade frisch nach Stuttgart gezogen und hatte noch nicht viel gesehen von der Welt, die mich nun umgeben würde. Sicherlich: Die Königsstaße hatte ich bereits bevölkert und sowohl das Schloss betrachtet, als auch diverse Geschäfte heimgesucht. Sogar mit dem Wald in direkter Nähe zu meiner neuen Wohnung hatte ich bereits Bekanntschaft gemacht.

Doch das war es bereits, und ich hatte guten Grund, mich mehr wie ein Tourist als wie ein nun hier Wohnender zu fühlen. Guten Grund, um mein Unwissen der Neugierde auszuliefern, die mich in der Fremde stets befällt. Ein Ziel musste her, ein hochwertiges. Ein Ziel, das dem Touristengefühl frönte und zugleich nicht nur für Auswärtige aufgestellte Beschau-Attrappe war, ein Ziel, das mich aus meiner Wohnung und den zwar abnehmenden, aber trotzdem noch immer existenten Umzugskistenstapeln befreien und meiner neuen Heimat näherbringen würde.

Ich fragte wikipedia nach Stuttgarter Besehenswertem, fand die Erwähnung eines Kunstmuseums und in diesem die Ausstellung „Drei. Das Triptychon in der Moderne„, die noch bis zum 14.6. laufen würde. Ich gebe zu, dass dieser Titel mich nicht sonderlich fesselte, mich schon nicht sonderlich interessiert hatte, als er mir irgendwann zuvor auf einem Plakat begegnet war. Dennoch war der Gedanke, bildlicher Kunst frönen und gleichzeitig eine Stuttgarter Sehenswürdigkeit kennenlernen zu können, einer, der mich begeisterte.

Das Kunstmuseum ist so unübersehbar, dass ich es schaffte, in der vergangenheit bereits mehrmals unwissend daran vorbeigegangen zu sein – und es auch diesem Tag ohne mein Ziel zu finden zu passieren. Das war nicht unlogisch. Zwar befindet sich das Gebäude direkt an der Königsstraße, direkt am Schlossplatz, ist neu und allein aufgrund seiner Würfelform und seiner gläsernen Außenwand auffällig genug, um einheimische und touristische, möglicherweise kritische Blicke auf sich zu ziehen – doch ist es auch mit einem Café bestückt, dessen Ausläufer sich selbst bei wintersten Temperaturen ins Freie, auf die Königsstraße wagten und mich von der Existenz eines Museums ablenkten.

Letztlich begriff ich doch, ging am Café vorbei in Richtung Kasse, entdeckte dann die Garderobe, entledigte mich – so weit ich mich erinnere, kostenlos – meiner Frostschutzkleidung, bezahlte dann die zehn Euro Eintritt, welche allerdings auch für die ständige Ausstellung moderner Kunst galten, und erhielt neben einer Eintrittskarte einen winzigen Aufkleber, der mit dem Wort „Kunst“ bedruckt war. Nette Idee, dachte ich vergnügt, doch stellte alsbald fest, dass diesem Aufkleber eine Funktion innewohnte: Man klebte ihn auf den eigenen Leib, um sich somit als Ausstellungsbesucher zu kennzeichnen und den herumstehenden musealen Fachkräften die unsympathische Eintrittskartenkontrollierarbeit abzunehmen.

Das Erdgeschoss und die dortige Dauerausstellung ignorierte ich ebenso wie das Tiefgeschoss, in dem es wohl auch noch etwas zu sehen gab. Ich spurtete die Treppenstufen hinauf und hatte Gelegenheit, die Architektur des Gebäudes zu bewundern. Denn das tat ich wirklich.

Obwohl mir bauhausige Stile, also nackte Wände und dergleichen, oftmals nicht so behagen und ich daher weder im Dessauer Bauhaus noch in der neugebauten Magdeburger Universitätsbibliothek jemals ästhetisch Beeindruckendes sah, war ich hier angetan von der Kargheit, die sich mir zeigte. An die gläserne Außenwand schmiegte sich auf jeder Etage ein Gang, von dem aus eine wunderschöne Sicht auf Königsstraße und Schloßplatz geboten wurde. Der Gang trennte das Äußere vom Inneren, und das Innere bestand wiederum aus einem Quader, roh verputzt und durch sich selbst öffnende Türen zu begehen.

Der Plural in „Türen“ bezieht sich dabei auf die verschiedenen Etagen, nicht auf eine einzelne. Denn zwar war es stets möglich, den Ausstellungsquader durch einzelne, sich sanft öffnende Türen zu verlassen, doch das Betreten war stets nur an einer von ihnen, logischerweise der sich in der Nähe der Treppen befindliche, möglich.

Als ich durch die Tür in der ersten Etage ging, unsicher, ob ich hier richtig war, wurde ich zunächst auf angenehm unaufdringliche Weise von dem Museumsmitarbeiter gemustert und dann mittels eines Fingerzeigs auf die Stelle meines Pullovers aufmerksam gemacht, an der der erwähnte Aufkleber fehlte. Aus Gründen der Ästhetik und der Sammelwut hatte ich bis dahin auf den Aufklebereinsatz verzichtet, doch gehorsam und entschuldigend lächelnd befestigte ich das kleine bedruckte papierstück nun auf meinem Sweatshirt, direkt neben einen zufrienden grinsenden Fred, so dass es aussah, als fordere er voller Vergnügen Kunst.

Und Kunst bekam er. Die Ausstellung begann mit einem klassischen Triptychon religiösen Ursprungs, vermutlich, um selbst den letzten Unwissenden in das Geheimnis dieses Griechenwortes einzuweihen. Dann folgte schecklicher Kitsch, eine moderne, mit goldener Farbe überzogene Verballhornung des kirchlichen Triptychons und somit zugleich Gegensatz und Entsprechung.

Es gab keine vorgegebene Lauf- und Schaurichtung, doch ich vermutete, dass es üblich war, sich rechts zu halten. Ich bog links ein und erblickte das Kunstwerk, das an diesem Nachmittag zu meinen Favoriten zählen würde – und das, obwohl es nicht einmal vollendet war. Es waren Skizzen zu Otto Dixs Werk „Der Krieg“, in originaler, also beeindruckender Größe und mit ebensolchem Detailreichtum. Ich kannte das Original nicht, doch nun, nachdem ich Bilder davon sah, gefallen mir die Skizzen in ihrer Rohheit, in ihrer Farblosigkeit fast besser.

Ich werde jetzt nicht anfangen, die 58 ausgestellten Triptychen einzeln zu beschreiben, doch sei erwähnt, dass mir die klassischeren Werke eher zusagten als die modernen. Beispielsweise empfand ich die Materialkunst als weniger gelungen. Unguterweise habe ich den Namen meines zweiten Favoriten dieser Ausstellung vergessen, doch waren es „Der Krieg“ und dieses Werk, die mich später noch einmal auf die erste Etage zum erneuten Beschauen lockten.

Als ich den Innenwürfel verließ, musste ich mich erst einmal orientieren. Ich wusste, dass sich die Stufen zur nächsten Etage links von mir hinter der Ecke befanden, doch was war rechts? Konnte man gar einmal um den Innenwürfel herumlaufen? Mein Erkundungsdrang wurde rasch gestoppt, als ich auf ein Treppenhaus stieß, das vermutlich vowiegend Notfällen galt und dementsprechend wahrscheinlich alarmgesichert war. Ich kehrte um.

Mit jeder neuen Etage verjüngten sie die augestellten Werke, je höher es ging, desto näher kam ich der Gegenwart. Die Definition des Triptychons, die in der ersten Etage noch klar erkennbar war, wurde hier immer mehr erweitert und abstrahiert. Sogar Fotoarbeiten und Videoinstallationen war zu sehen.

Max Beckmann gefiel mir nicht so sehr. Umso angenehmer empfand ich es zu erfahren, dass auch ein anderes Werk von otto Dix durchaus zusagte, vielleicht, weil er einen fast comichaften Stil besitzt. George Dyer war gewöhnungsbedürftig, Francis Bacon fand ich gut, obwohl ich mich jetzt nicht mehr daran erinnern kann, warum.

Woran ich mich jedoch erinnere, war der Stil des Kunstmuseums. Passend zur Architektur hatte man sich auf Schlichtheit besonnen. Es gab keine roten Samtkordeln, die verhindern sollten, dass man den Ausstellungsstücken zu nahe trat, sondern nur einfache weiße Linien auf dem Boden. Die Auszeichnungen der Werke befanden sich an den richtigen Stellen, waren simpel, aber ausreichend. Überall standen Bänke herum, in die der Ausstellungsführer auf raffinierte Weise eingelassen war. In wenigen Handgriffen konnte man sich so Zutritt zu zusätzlichen Informationen verschaffen, wenn man denn wollte.

Ich wollte nur selten, vermutlich auch, weil ich das Beschreiben und Deuten von Kunst stets als sehr anstrengend empfinde. Doch war ich auch nicht gekommen, um zu lernen, sondern, um mich visuell beeindrucken zu lassen. Und das schaffte die Ausstellung durchaus.

Als ich letztlich ins Erdgeschoss zurückkehrte, war ich gesättigt. Doch die „Sammlung“, denn so wurde die Dauerausstellung bezeichnet, lag noch vor mir. Und diese widmet sich der modernen Kunst. Allerlei Werke fanden sich hier, und ich muss gestehen, dass ich nicht imstande war, mich ihnen in gebührendem Maße zu widmen. Daran war auch der Umfang Schuld, denn es existierte noch ein Kellergeschoss, das ebenfalls mit Kunstwerken aufwartete, die der Betrachtung harrten.

Beeindruckend waren vor allem zwei Filme. Einer zeigte die Geburt eines Kindes parallel zum Ableben eines alten Mannes im Sterbebett, ein zweiter einen Aktionskünstler in China, der sich als Statue verkleidet unter die Terracotta-Armee mischte und dementsprechend für Aufregung sorgte. Außerdem besuchte ich einen Raum, der komplett mit Bienenwachs verkleidet war und sehr angenehm duftete. Es gab zahlreiche Fotos zu betrachten, doch hatte ich dafür keine Nerven mehr.

Die Dauerausstellung ließ den erwähnten schlichten Stil der oberen Etagen ein wenig vermissen. Dennoch weigerte sich das Museum auch hier, einer klassischen Galerie zu gleichen, nicht nur durch erwähnte Filmdarbietungen, sondern auch beispielsweise durch ein monströses Rostkunstwerk, das in regelmäßigen Abständen mit Flammenwerfern bearbeitet wurde.

Besonders schön fand ich, auch hier unten auf Otto Dix zu treffen. Das Stuttgarter Kunstmuseum ist offensichtlich Heimat zahlreicher Dix-Kunstwerke, und ich bekam ausreichend Gelegenheit, den von mir gerade erst entdeckten Maler zu studieren und zu bewundern.

Als ich das Kunstmuseum war ich angefüllt mit Bildern, mit Ideen, mit dem Wunsch, selbst kreativ zu werden und erfreut, nicht nur eine sehenswerte Ausstellung, sondern auch ein Beispiel für erfreulich gute moderne Architektur besucht zu haben.

MiSt – Rosenau – Marc-Uwe Kling

Die Stuttgarter Rosenau vermochte mich schon zu begeistern, da wusste ich noch gar nicht, wo genau sie sich eigentlich befindet. Denn nicht nur war es mir möglich, problemlos und bequem über die Heimseite eine Karte für das Programm von Marc-Uwe Kling zu ordern, nein, es handelte sich auch noch um ein sogenanntes eTicket, also eine Eintrittskarte, die – ähnlich wie das OnlineTicket der Deutschen Bahn – zu Hause ausgedruckt werden konnte. Dass die Bezahlung dann auch noch per Paypal möglich war, setzte dem Ganzen hinsichtlich Zeitgemäßigkeit noch ein Krönchen auf.

Dabei war das, was die Rosenau von sich im Netz präsentierte, keineswegs der Moderne anheimgefallen, handelte es sich doch offensichtlich um eine gehobenere Lokaltität, in der man wohl gut zu speisen pflegt. Das angebotene Kulturprogramm erstreckte sich teilweise in Bereiche, die mit ergrauten Personen bevölkert sind. Doch war mir das geal: Ich hatte bereits bestellt, und mzudem ließ mich meine Neugierde herausfinden, dass die Rosenau anscheinend auch Heimat von Poetry Slams und Komikerauftritten war. Sehr schön.

Nach der Arbeit begab ich mich auf direktem Weg zur Bahn zur Haltestelle Schwabstraße. Bewegt man sich innerhalb Stuttgarts, so ist tatsächlich die Bahnerei, egal ob S oder U, empfehlenswert. Erstaunlicherweise liegt alles Besuchbare in der Nähe irgendeiner Haltestelle.

So auch die Rosenau. Und mit einer kleinen googleMaps-Recherche und einer daraus resultierenden Skizze in meinem Notizbuch dürfte der Findbarkeit nichts im Wege stehen. Dachte ich.

Will man jedoch einer der unterirdischen Haltestellen in Richtung Tageslicht entkommen, muss man feststellen, dass sich zumeist diverse Optionen bieten. Ich geriet also an eine Verzweigung, und weil ich nicht wusste, welcher Weg der richtige sei, wählte ich irgendeinen. Die Treppe hinter mir lassend befand ich mich nun an der Rotebühlstraße. So weit so gut, dachte ich und versuchte herauszufinden, in welche Richtung ich zu gehen hatte. Den Namen der nächsten Querstraße herauszufinden reduzierte die Auswahl immerhin auf zwei Alternativen. In Pfadfindermanier suchte ich die Sonne. Irgendwo hinter den Gebäuden musste sie sein. Dort, wo es am hellsten war. Ich lief in die entgegengesetzte Richtung.

Eine Eigenart von Haltestellen in Stuttgart scheint es zu sein, Umgebungspläne zu bieten. So ist zumeist noch die nächste Haltestelle eingezeichnet, zusammen mit einer angenehmen Anzahl von Straßennamen. Nachdem ich mich einmal entschieden hatte, wohin ich gehen wollte, war es daher dennoch schön, die Bestätigung durch eine passiert werdende Bsushaltestelle zu bekommen.

Während die fehlende Ästhetik im Ubahnbereich mich zu hochgezogenen Augenbrauen veranlasst hatte, gefiel mir das Viertel recht gut. Kannte ich schon jemanden, der hier wohnte? Ich wusste es nicht. Immerhin fand ich die Heilsarmee, die mich darüber grübeln ließ, ob das WOrt „Armee“ jemals positiv behaftet sein kann. Dann stieß ich auf eine Galerie, die wohl in Begriff war, eine Vernissage zu veranstalten, und ich fühlte mich gleich heimisch.

Am Eingang zur Rosenau wäre ich beinahe vorbeigelaufen. Und selbst als ich ihn nutzte, war es der falsche. Meine Frage wurde freundlich beantwortet. Ich ging wieder ins Freie, einen Eingang weiter in einen Innenhof hinein und war am Ziel. Mein eTicket wurde nicht wie erwartet gescannt, sondern nur mit einer ausgdruckten Liste verglichen und anschließend einbehalten. Ein echtes Ticket als Ersatz gab es nicht.

Der Raum war prall gefüllt mit Tischen, Stühlen und Menschen. Obwohl ich eigentlich recht pünktlich war – zumindest nach meiner Auffassung von Pünktlichkeit – schien es kaum möglich zu sein, noch einen Sitzplatz zu ergattern. Vor den bereits besetzten beziehungsweise durch Jacken und Hinweisende freigehaltenen Plätzen häuften sich nicht nur gefüllte Getränkebehälter, sondern auch durchaus lecker anzusehende Speisen. Anscheinend war es nicht unüblich, vor einer Veranstaltung ein wenig Nahrhaftes zu sich zu nehmen.

In der Mitte des Raumes entdeckte ich ein paar freie Stühle. Das kann doch nicht sein, dachte ich, und misstrauisch fragte ich nach. Besetzt, erfuhr ich, für die Presse. Dass die Presse die besten Plätze zugeteilt bekam, erschien mir logisch und ärgerte mich zugleich. Schließlich hatte _ich_ ja bezahlt…

In der hintersten Ecke des Raumes, links von der Bar, gewahrte ich noch ein paar freie Plätze. Nun ja, dachte ich, und fragte auch hier. Tasächlich: Insgesamt drei Plätze standen noch zur Verfügung, und als dann auch noch ein Pärchen eintraf und ebenso wie ich nachfragte, wählte ich den einzeln gelegenen Platz, der sich fast direkt in der Ecke des Raumes befand. Als ich jedoch dann saß, war ich erstaunt: Die Sicht war fantastisch. Derart besänftigt bestellte ich mir eine große Cola und zeichnete einen Fred-Comic, während ich auf den Beginn der Show wartete.

Die Gtränkepreise waren akzeptabel, das Publikum war sehr gemischt. Zwar entdeckte ich diverse Begraute und Gefärbte, aber in Anbretracht des Auftretenden natürlich auch eine Menge Jüngere. An der Wand hingen Poster für zukünftige Veranstaltungen, und ich war erfreut, sowohl Olaf Schubert als auch Rainald Grebe unter ihnen zu finden. Eine Wiederkehr meinerseits war also wahrscheinlich.

Links neben der Bühne hing ein riesiges Gemälde, das aussah wie eine Kinderkrakelei, rechts von ihr befanden sich die Toiletten, die nicht unbedingt umfangreich waren, aber ansonsten keiner Erwähnung bedürfen, egal ob postitiv oder negativ. Ebenso wie übrigens der Rest des Raumes, der zwar angenehm hell war, ansonsten nichts Spektakuläres an sich hatte.

Marc-Uwe Kling wurde angekündigt von demjenigen, der den Rosenau-Newsletter schrieb. Wobei er nicht wirklich angekündigt wurde; vielmehr gab es einen Ausblick auf Kommendes und das Drängen, doch bitte den erwähnten Newsletter zu abonnieren. Was ich natürlich nicht tun würde.

Dann kam Marc-Uwe und mit erschien ein vergnügtes Grinsen auf meinem Gesicht. Denn Marc-Uwe Kling vermag es irgendwie, Humor leise sein zu lassen, ohne leise zu bleiben, kritisch zu wirken, ohne mit Kritik zu nerven. Und das alles auf amüsanteste Art. Hilfreich dabei waren nicht nur die diversen auf Gitarre zusammengeschrammelten, auf dem Klavier dargebotenen Eigenkompositionen, sondern auch die Geschichten über das kommunistische Känguruh, seinen Beuteltiermitbewohner, das früher beim Vietcong gewesen war.

Wenn man von dem einen Mädel neben mir absah, das bei jedem einzelnen Witz Bestätigung suchend den Blick ihres Freundes suchte und mich dabei ebenso nervte wie der Typ, der offensichtlich Herrn Kling noch aus Schulzeiten kannte und schon vor der Veranstaltung Erstaunen darüber geäußert hatte, dass er gar nicht wusste, dass Herr Kling so kreativ sei… – wenn man also von den beiden absah, war das Publikum gut. Es lachte an den richtigen Stellen, machte mit, wo es sollte, war nicht weniger begeistert als ich.

Dementsprechend viel zu früh kam die Pause. Der Kellner kassierte meine Cola, und ich zeichnete den Comic zuende. Es war erstaunlich, wieviele Anwesende das Bedürfnis hatten, ihre Lungen zu befüllen.

Der zweite Teil und die obligatorischen Zugaben waren dem ersten mindestens ebenbürtig, und als alles sein Ende gefunden hatte, und ich mich zum Gehen erhob, stellte ich fest, dass es auch üblich zu sein schien, nach einer Veranstaltung noch ein wenig zu verweilen. Ich jedoch wollte heim, trug ein Amüsanz wie ein inneres Leuchten mit mir herum, vertraute mich den Bahnen an und beschloss, die Rosenau bald wieder zu beehren.

MiSt – Wilhelma Stuttgart – Teil 2

Der erste Teil dieser Ausgabe von „MiSt – Morast in Stuttgart“ befindet sich übrigens hier.

Liebevoll streichelte das Sonnenlicht die unzähligen Tulpen, die das nächste Gebäude umkränzten – und natürlich auch den Raben, der es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hatte, mich zu verfolgen. Vielleicht war es auch sein Kumpel, der da auf dem Terrariumsdach hockte und neugierig zu mir hinunterblickte. Ich widmete mich einem eher botanischen als zoologischen Gebäude, besuchte Kakteen und fleischfressende Pfanzen, bestaunte Blüten und hörte dem nervigen Geplapper eines Tukans zu. „Ist bestimmt eine Frau, soviel wie der redet.“, meinte jemand – offensichtlich ohne weibliche Begleitung.

Eine der vielen herumstehenden Karten studierend stellte ich fest, dass mein Orientierungsvermögen schon wieder versagte: Ich hatte mich, schon wieder in Richtung Hauptein- und Ausgang bewegt, ohne auch nur ansatzweise Lust zu verspüren, die Wilhelma bereits zu verlassen.

Also suchte ich einen Weg zurück zu meiner „Route“ – und fand ihn in einem parkähnlichen Gelände, ausgestattet mit Teichen und Springbrunnen, mit Sitzbänken und unzähligen Tulpenbäumen. Zumindest hatte ich diese Baumart bisher so bezeichnet, Schilder lehrten mich jedoch, dass die Bäume Magnoliengewächse seien. Aha, dachte ich fasziniert und bewunderte die weißen oder rosafarbenen Blüten, die wahrlich wunderschön anzusehen sind. Ich mag Kastanienbäume eigentlich sehr gerne und würde sie nicht zuletzt wegen ihrer Früchte als meine Lieblingsbaumart bezeichnen. Doch nun musste ich feststellen, mich längst in Tulpenbäume verliebt zu haben, ohne davon zu wissen.

Die Wilhelma ist besät mit antiquiert wirkenden Bauten, die dem 19. oder 18. Jahrhundert entsprungen sein können, die das Flair eines herzoglichen Lustgartens erwecken. Nichtsdestotrotz sieht man an Ecken Moderne. Nichts wirkt abgewrackt oder veraltet. Selbst das Innere des Raubtierhauses, in allen Zoos Quell der Unästhetik, war erstaunlich angenehm zu begehen.

Der Aufmerksamkeit erheischen wollende Ruf eines männlichen Pfaus drang an mein Ohr und forderte mich auf, die noch unbetrachteten Bereiche des Zoos zu begehen. Dem Pfau selbst konnte ich mich nicht nähern, hatte er sich es doch auf dem Dach eines Gebäudes gemütlich gemacht. vielleicht, um seinen storchigen Vetter nachzuahmen, der zusammen mit seiner Gemahlin ein Nest auf einem der höchsten Gebäude errichtet hatte und hin und wieder in sehenswerter Anmut über den Parkanlagen und Tierhäusern umhersegelte.

Umso näher kam ich den Affen. Dabei wollte ich das gar nicht. Im Affenhaus beispielweise war ich überrascht, kein sonderlich intensives Bedürfnis zu verspüren, die Affen zu betrachten – ja noch nicht einmal dem Tierpfleger dabei zuzuschauen, wie er mit einem Affenbaby, das zugegebenermaßen durchaus niedlich anzusehen war, spielte. Mir kam sogar der Gedanke in den Kopf, dass Menschen sich an Affen erfreuen, weil sie dadurch ohne schlechtes Gewissen über dumme „Menschen“ lachen können.

Doch ebenso wie im Aquarium schaffte man es auch hier, mein Desinteresse zu mindern: Mitten im Affenhaus befand sich nicht nur eine Sammlung diverser Mäuse, sondern auch eine Brutstation, in der zwei frisch geschlüpfte Vogelkinder blind und ooohenswert umhertapsten. Lächelnd verleß ich das Gebäude, suche eine Karte, orientierte mich in Richtung der Bären und der Elefanten, ignorierte die restlichen Affen und lutschte vergnügt an meinem Lakritzbonbon.

Es ging bergauf. Sogar ziemlich steil. Das Panzernashorn wurde gerade gefüttert. Elefanten fetzen sowieso. Ein Leopard tigerte herum. Das Raubtierhaus sah von außen erstaunlich groß aus und roch
von innen nicht nicht, aber doch wenig genug. Zudem befand sich dort eine Toilette, deren Existenz mir Erleichterung verschaffte.

Dann ging es zu den Bären. Vor allem die Eisbären wurden von begeisterten Betrachtenden umzingelt, und es war für mich nicht schwer, den berühmten Wilbär ausfindig zu machen. Er schlief und wirkte, obwohl ich versuchte, mich der allgemeinen Verniedlichung von Eisbären zu verweigern, äußerst niedlich. Ich verzichtete jedoch auf ein „Oh, süß!“, schmunzelte nur ein bisschen und ging dann weiter. Bei den Zebras hörte ich die altbekannte Frage, ob diese denn nun weiß-mit-schwarzen-Streifen oder schwarz-mit-weißen-Streifen seien und zwischendurch begegnete ich mal wieder meinem Freund, dem Raben.

Ich gelangte an ein weiteres Gewächshaus, wo unter anderem eine riesige Blume namens Titanenwurz darauf wartete, ihren immensen Blütenstand zu entfalten und die Umgebung mit nasenbetäubendem Aasgestank zu beglücken. Mein Interesse an zoologischen und botanischen Gärten war mittlerweile rapide gesunken, doch fand ich plötzlich inmitten des Gewächshauses einen Raum, der mich alle Mattigkeit vergessen ließ: Das Nachttierhaus.

Der Zugang lag in komplettem Dunkel, und vorsichtig schritt ich voran. Dann verbreiterte sich der Gang zu einem Raum, noch immer dunkel, doch mit Schwarzlicht beleuchtet, so dass es nicht nur möglich war, sich ohne blindes Tasten voranzubewegen, sondern auch Tiere zu sehen, die offensichtlich in Dunkelheit bleiben sollten.

Das erste Wesen, das ich sah, sah ich nicht. Die reduzierte Beleuchtung brachte den Nachteil mit sich, dass es den eigentlich der Beschauung dienenden Zoobewohnern leichter fiel, sich zu verstecken – insbesondere wenn aus der Beschriftung nicht hervorging, wonach eigentlich zu suchen war.

Umso leichter war es, Fledermäuse zu finden. Inmitten eines riesigen schwarzlichtdunklen Raumes befanden sich so viele dieser Flatterttiere, dass ich mich von vorneherein weigerte, sie zu zählen. Ich war begeistert.
Sie hingen überall. Von Seilen, von Ästen, ja sogar direkt an der Glasscheibe, die sie von uns Gaffenden trennte. Unterschiedlichste Arten waren zu sehen, umgeben von allerlei Obst, von dem einige umherfliegende Exemplare immer wieder im Flug abbissen.

Auf dem Boden kroch ein besonders interessantes Exemplar herum. Es hatte anscheinend keine Lust zu fliegen und bewegte sich fort, indem es Flügel und Füße als Kriechwerkzeuge benutzte. Fasziniert beobachtete, wie es sich erstaunlich schnell in Richtung Wand bewegte, dort erst einen Ast, dann ein Seil hochkletterte und sich schließlich zufrieden hängen ließ. Lange blieb ich, um die Flederwesen zu beschauen, die mir bekanntlich ein wenig ans Herz gewachsen sind.

Dann war es Zeit zu gehen. Auf dem Weg zum Ausgang erlebte ich versehentlich noch eine Seelöwenfütterung und den Streit mehrerer Pelikane. Auch war der Rabe [Ich hatte, weil es mir besser gefiel, beschlossen, dass es sich nur um ein einziges Exemplar handelte.] extra gekommen, um mich zu verabschieden. Ich winkte ihm zu und ging dann zur U-Bahn-Haltestelle.

Aufgrund eines Polizeieinsatzes am Hauptbahnhof musste ich in Stadtmitte umsteigen und auch dort zunächst eine Viertelstunde auf meine Bahn warten. Doch ein Apfel, ein gutes Buch und die Freude über einen wirklich schönen Nachmittag in der Wilhelma versüßten mir die Zeit.

MiSt – Wilhelma Stuttgart – Teil 1

Prinzipiell gilt: Wenn eine Haltestelle den Namen der Lokation trägt, die ich besuchen möchte, gehe ich von einer guten Findbarkeit aus. Und so war es auch: Als die U14 die Haltestelle Wilhelma erreichte, schnappte ich mir meinen Rucksack und stieg aus – blaustem Himmel, fröhlichstem Sonnenschein und gutesten Temperaturen entgegen. Ein Innehalten zauberte meine Sonnenbrille hervor und das Jacket hinfort und gab mir zugleich Gelegenheit, mich heimlich umzusehen. Wohin floss der kinderreiche Menschenstrom? Wo befand sich des Zoos Eingang?

Denn dorthin war ich unterwegs: zum Zoo. Doch der Zoo in Stuttgart ist keineswegs ein einfacher Zoo, oder, wenn man es etwas umständlicher mag, ein zoologischer Garten, sondern beinhaltet auch diverse Botanität, die dem ganzen Objekt einen derart umständlichen Titel verliehen hätten, dass „Wilhelma“ doch eine angenehme Verkürzung darstellt.

Den zahlreichen Menschen folgend stellte es dann auch kein Problem dar, den Haupteingang zu finden und 12 Euro gegen eine Eintrittskarte zu tauschen. Offensichtlich wurde der Eingangsbereich gerade einem Umbau unterzogen. Denn nicht nur verkündete ein noch leerstehender Glasbau, alsbald die Souveniritäten beinhalten zu wollen, die Eintrittskarte selbst war Beweis genug. Sie war offensichtlich dafür ausgelegt, in eine automatische Schranke gestopft zu werden, doch wurde im Augenblick noch von echten Menschen bearbeitet. Sie rissen einfach eine Ecke ab.

Planlos entdeckte ich erst Kinderhorden und dann Pinguine. Und inmitten der Pinguine einen Reiher, unberührt die gaffenden Augenpaare ignorierend. Sein Freund wartete drei Meter höher auf der Mauer, von den meisten Besuchern unbemerkt.

Vöglig ging es weiter, als ich mich in die Voliere begab. Der Fotoapparat war längst meinem Rucksack entflohen, und ich versuchte, die herumstolzierenden, herumfliegenden und herumsitzenden Flattertiere zu interessanten Posen zu überreden – oder zumindest dazu, ein wenig näher zu kommen. Doch die Federwesen blieben störrisch, und irgendwas in mir hieß dies gut.

Auch hier wurde gebaut, und ein unbefestigter Pfad führte an Pinguinjungen vorbei ins Freie. Ich beschaute die Voliere noch einmal von außen und entdeckte noch ein paar schöne Vögel, die leider ein Ästhetik minderndes Gitter von meinem Objektiv trennte.

Apropos: Obgleich meine wunderfeine DSLR-Kamera eindeutig nicht zu den Knipskisten zu zählen ist, fühlte ich mich als verlierender Teilnehmer eines nicht gewollten Schwanzvergleichs: Erstaunlich viele Zoobesucher nutzten offensichtlich das sonnenlichtige Wetter, um mit monströsen Objektiven und Stativen nach besten Motiven jagend den Zoo zu durchkämmen. Ich hingegen suchte nur ein paar schöne Bilder, mit denen der vermutlich unkurz werdende Text buntisiert werden konnte.

Nach den Vögeln sah ich mir den Eisstand an. Und die Merchandise-Produkte. Ein Eisbär namens Wilbär besaß nicht nur einen ähnlich grauenhaften Namen, sondern offensichtlich auch den Wunsch, es dem berühmtesten aller Knuts gleichzutun. Plüschtiere und Kalender warend as wenigste, was man von diesem ebenfalls 2007, allerdings nach Knut, geborenen knuffeligen Raubtier erwerben konnte.

Als nächstes beschaute ich mir Insekten. Dabei wurde deutlich, dass ich eindeutig die falsche Laufrichtung gewählt hatte. Ich musste am gesamten Gebäude vorbeigehen, um den Eingang betreten zu können, durch das Insektarium zu stolpern und anschließend wieder, auf dem Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit, daran vorbeizugehen.

Außerdem war offensichtlich, dass man sich Mühe gegeben hatte, die Tier- und Pflanzenbetrachtung auch für die Besucher mit Dächern zu versehen, um auch bei unguterem Wetter nicht auf Schaulustige verzichten zu müssen. Im Gegenzug gab es abseits des Rundgangs zwischen viel Platz für Wiesen und Bäume, die teilweise sogar Waldgefühle aufkommen ließen. Tatsächlich besaß die Wilhelma einen sehr angenehm-parkigen Charakter. Und hin und wieder geriet man an riesige Grünflächen, die als Vogelwiese deklariert worden waren und nicht betreten werden wollten.

Das Insektarium, von dem ich nicht wusste, ob es so hieß, gefiel mir. Spinnen und Heuschrecken und Skorpione und Schaben und dergleichen mehr bildeten nicht nur hinreichende Unterhaltung für Zugleich-Angewiderte-und-Faszinierte und für Wo-ist-Walter?-Suchfreunde, sondern auch leicht verdaubare und beschauliche Wissenbrocken für die völlebedingten Wartemomente. Übergroße Insektenkopfvergleiche waren nicht weniger interessant als Tausendfüßerbeinzahlen und Ameisenbauarchitektur.

Eine Glastür führte zum Schmetterlingshaus, und obgleich ich außer dem des eindrucksvollen Bananenfalters keinerlei Namen behielt, war es doch ungeheuer faszinierend und zugleich wunderschön anzusehen, wie die grazilen Flügeltiere zwischen Blättern und Blüten hin und her flatterten, hin und wieder landeten, um sich an der durch die Glaswände hereinfallenden Sonne zu wärmen und dann vergnügt weiterzufliegen.

Nicht minder vergnügt war ich, der geduldig vor einer Blume hockend darauf wartete, dass sich einer der Schmetterlinge ausgerechnet hierhin, zu mir gesellen würde. Weniger grazil, aber nicht weniger spannend waren die Schmetterlingsraupen, die sich affengleich an blättrige Stengel klammerten und mit bezaubernder Trägheit bewegten.

Ein für Schmetterlinge geltendes Schild „Wir müssen drinnen bleiben“ klebte auf der Glastür, die zum nächsten Raum führte, wo ich unter anderem lernen durfte, dass Bienen nur vier bis fünf Wochen lang leben und je nach Alter unterschiedliche Berufe ausführen. Außerdem sehen sie bis zu 300 Einzelbilder pro Sekunde.

Der nächste Glasbau war das Amazonienhaus. Abgesehen davon, dass hier gerade Scheiben gereinigt wurden und sich zahlreiche Kinder und Erwachsene vor den unberührt herumliegenden Kaimanen drängelten, fand ich nichts wirklich Fesselndes. Aber ich gelangte zu der Erkenntnis, dass die eigentlich lobenswerte Erfindung des Brillentrockners im Amazonienhaus-Eingangsbereich für Kontaktlinsenträger ihre Bedeutung verliert. Im Gebäude wurde dann deutlich, dass es bei der Wilhema tatsächlich nicht nur um einen zoologischen, sondern auch um einen botanischen Garten handelte – zahlreiche tropische Gewächse säumten, mit Erklärschildern bewachsen, den Schaupfad.

Mein nächstes Ziel war das Aquarium, doch bewunderte ich zuvor den Spielplatz auf dem unter anderem ein riesiges Holznilpferd dazu verleitete, in seinem sperrangelweit geöffneten Mund herumzuturnen. Außerdem beobachtete ich einen Raben, der des Waschbärs Abwesenheit nutzte, um in dessen Gehege an einem Knochen zu nagen

Das Aquarium war ein schier endloser Bau, angefüllt mit veringerter Helligkeit und den Kinderlärmechos. Und natürlich mit Fischen. Unzähligen.
Leider ließ nach Hechten und Forellen, nach im Sand verbuddelten Butts [Bütte? [Danke!]] und einem Zitteraal mit Entladungsanzeige mein Flossentierinteresse rapide nach, und selbst quirlig-bunte Exoten vermochten nicht mehr, als meine im Vorbeigehen verteilten Blicke zu erhaschen. Doch hatten die Zoobesucher offensichtlich mit meinem unbeeindruckten Vorbeischreiten gerechnet und zwischen den fischigen Aquarien immer wieder welche gepflanzt, die meine Aufmerksamkeit weckten, mein Tempo verlangsamten und meine Begeisterung schürten: Seeigel, Seerosen, SeeSterne, mit Schwarzlicht beleuchtete Quallen, ein versteckter Krake und Krabben und vieles mehr, die dieses Gebäude durchaus aufwerteten.

Gleich hintenan erstreckte sich das Terrarium, zahlreiche Schlangen beherbergend, deren Giftigkeit oder Größe stets Begeisterungsrufe aus Kindermündern erwirkten. Ich war stolz, das Chamäleon zu entdecken, das sich aber zugebenermaßen auch keine große Mühe beim Tarnen gegeben hatte, und trat ins Freie.

MiSt – Das Prag

Ich bin mir dessen bewusst, dass sich die wundergute Serie „MiSt – Morast in Stuttgart“ in letzter Zeit vorrangig mit nachtlebigen Lokalitäten befasste, doch verspreche ich, dass alsbald auch tagsüber besuchbare Sehenswürdigkeiten der schönsten aller baden-württembergischen Landeshauptsädte textliche Erwähnung finden werden. Und so.

Das Prag sei nur kurz beschrieben, denn schließlich beschloss es, nachdem ich es einmal besucht hatte, zu sterben. Ich fühle mich ein wenig schuldig. Immerhin gibt es bereits einen Nachfolger, das Lehmann, irgendwo in der Stadtmitte angesiedelt, das ich mir aber aus verständlichen Gründen noch nicht zu besuchen traute.

Das Prag befand sich am Pragsattel, mit diversen U-Bahnen umstandslos erreichbar. Nur das Wegkommen war erschwert, zumindest, wenn man nicht wusste, dass man den Nachtbus zu nehmen hatet bzw dessen Abfahrtszeiten nicht kannte und dementsprechend bei winterlichen Temperaturen mit der Frage haderte, ob es sich lohnte, Geld in eines der wartenden Taxis zu investieren.
Doch glücklicherweise hatte ich als gerade Zugezogener irgendwen gefragt und wusste zumindest um die Existenz von Nachtbussen und um ihre Abfahrtszeiten am Schlossplatz. Ich brauchte also nur die Pragsattel-Schlossplatz zu schätzen, ein wenig Wartepuffer zu addieren und – weil ich keine Ahnung von den Dimensionen der Busstrecke oder Stuttgarts hatte – 15 Minuten zu früh an der Haltestelle zu stehen. Immerhin funktionierte das anschließende Umsteigen problemlos, und alsbald war ich heimgekehrt in dem Wissen, dass sowohl der Nachtverkehr benutzbar als auch das Prag besuchbar ist.

Doch ich fange am besten am Anfang an.
Ich war gerade nach Stuttgart gezogen; mein heimisches Internet erfreute sich noch umfangreicher Nichtexistenz und schickte mich in regelmäßigen Abständen in innenstädtische Internetcafés, um nicht nur dort meine Comics aktualisieren, sondern auch die kulturellen Möglichkeiten meiner neuen Heimat zu erfragen.

Das Prag lockte mit einer Metallnacht, und allein seine gute Erreichbarkeit war es, die mich überzeugte, kurz vor Mitternacht in eine U-Bahn zu steigen und anschließend zwei unhell gekleideten, weiblichen Wesen dorthin zu folgen, wo rauchende Eingangsmarkierer ihr abendliches Werk vollbrachten. Es ging nach unten, in den Keller, in mangelhafte aber ausreichende Beleuchtung, in nichtrauchende Menschenmengen und Getöns aus hardcorigem Metal.

Ich fand die Bar, ich fand die Toilette, ich fand lederne Sitzmöglichkeiten, ich fand eine zweite Bar, alles im selben Raum, nur durch Pseudowände getrennt, ich fand – natürlich – die Tanzfläche, die zwar eine unfreundliche Säule in der Mitte besaß, aber gut besucht war.

Ich fand heraus, dass die heftige, aber nicht sehr finstere Musik von zahlreichen ebensowenig finster Gekleideten genossen wurde, entdeckte aber genug true Metaller, um nicht beunruhigt zu sein. Schließlich hatte sogar ich einen Kapuzenpullover mit Fred-Motiv an, war also keineswegs ein eviles Vorbild.

Was ich nicht fand, war die Garderobe. Ich irrte umher und befragte schließlich gegen den Erwerb einer großen Cola die äußerst freundliche Barfrau, die in eine düstere Ecke verwies. Dort existierten tatsächlich Kleiderständer, aber keine Bewacher, die mir im Austausch gegen Kleingeld Papierfetzen schenkten. Ungut, dachte ich, befanden sich an mir doch nicht nur der erwähnte, warme Fred-Pullover, sondern auch noch eine dicke Winterjacke und ein mit Einkäufen befüllter Rucksack, ganz abgesehen von Telefon, Geld und Schlüsseln.

Ungeachtet meiner unlängst gemachten Winterjackenverlusterfahrung in Magdeburg legte ich es drauf an, klaubte nur das Wichtigste aus den Taschen und positionierte mein Gut an einem unauffälligen Haken, das Beste hoffend und später immer mal kontrollierend.

Die Lokation an sich besaß eine gemütliche Größe und wirkte ein wenig heruntergekommen. Die Toiletten waren nur dem Notfall vorbehalten, und Gespräche waren nur außerhalb des Gebäudes möglich. Dennoch fühlte ich mich wohl und staunte, wieviele Songs von ein- und derselben hardcoremetallischen Musikrichtung hier hintereinander gespielt wurden.

Ich stand eine Weile herum, hielt mich am Glas fest, platzierte mich dann auf den Ledermöbeln, lauschte den Klängen, auf bessere hoffend. Mir gegenüber sprangen bei jedem zweiten Lied zwei Gestalten auf, besser: Nur eine sprang auf, und die andere, offensichtlich ein Mitläufer, lief hinterher. Neben mir schafften es zwei feminine Wesen mit tätowierten Armen, den Krach zu übertönen und sich zu unterhalten.

Und plötzlich ertönten Känge, die ich kannte: Sepultura! Zwar fand ich Sepultura nie sonderlich begeisterungswürdig, doch sowohl ihren Klassiker „Roots“ als auch die Kooperation mit KoRn „Ratamahatta“ kann ich durchaus gutheißen. Doch ich sprang nicht auf, schüttelte nicht mein Haupthaar, wagte noch immer an eine musikalische Annäherung an meinen Geschmack zu glauben. Und tatsächlich: Wenige Lieder später lärmte es erneut bekanntermaßen durch den Raum: Otep! Diesmal hielt mich nichts und niemand. Ich stürmte zur Tanzfläche, ignorierend, dass ich der einzige Nutzer selbiger war, riss mir die Brille vom Gesicht und ließ mein Haupthaar wirbeln, begleitet von dem keineswegs weiblichen Gegrunze der Otep-Sängerin.

Danach plumpste ich innerlich grinsend in die Polster und wartete darauf, dass das nächste Schönklang mich erreichen würde. Ich wartete. Und wartete. Und wartete. Als mein Gutelauneakku sich bedrohlich dem Negativbereich näherte, entdeckte ich eine sympathisch aussehende, allein herumstehende Dame, die ich spontan mit mir belästigte.

„Kommt hier immer dieselbe Musik?“, fragte ich, auf ein Nein hoffend, noch immer, ungeachtet aller Realitäten, an mögliche Abwechslung glaubend.
Sie sah mich fragend an. „Wieso? Was hättest du denn gern?“
„Naja irgendwas, das nicht so … hardcorig ist.“
Sie überlegte kurz.
„Ich war vorhin drüben, aber da lief auch nur Black Metal…“
„Moment.“, warf ich ein. „Es gibt ein Drüben?“
Sie nickte, zeigte mir den Weg: An der Toilette vorbei, durch eine kleine Tür.

Ich stand vor einem Dilemma: Wollte ich die Lokation ändern, in der Hoffnung, an anderem Ort bessere Musik zu vernehmen, dort vielleicht in erhöhter Frequenz auf die Tanzfläche gelockt zu werden? Oder wollte ich hier bleiben, mit ihr reden, die ich nicht kannte, die jedoch interessant genug wirkte, um mit ihr reden zu wollen? Wollte ich verweilen, inmitten von Ungutlärm, über den Krach hinweg Kommunikation versuchen, mich krampfhaft bemühen, ein unverfängliches und doch amüsantes Gesprächsthema zu finden, mich nicht aufdrängen, aber doch zugleich bemerkbar machen?

Ja! Ich will bleiben!, rief alles in mir, doch ich war schon „drüben“, den einfacheren Weg begehend, der Hoffnung auf bessere Musik folgend. Vergeblich.

Sicherlich, hier hausten „echte“ Metaller, so wie ich sie kannte, bangten zu schwarzmetallischem Rauschklang bei viel zu viel Licht auf kleiner Tanzfläche. Sicherlich, es lief kein Lied, das mich abschreckte oder genervt seufzen ließ. Aber es kam auch nichts, was ich kannte, nichts, was mich dazu bewegen konnte, mich zu bewegen, nichts, was ich irgendwie als Bleibgrund erachtet hätte.

Ich ging zurück, einen Gesprächsanknüpfpunkt ersinnend. Doch sie war nicht mehr da.
Natürlich, dachte ich enttäuscht, holte meine glücklicherweise noch immer existente Garderobe ab ung verließ das Prag in Richtung Haltestelle.

Was dann geschah, schrieb ich bereits. Oben.