Ich kann mich nicht konzen
Trier klingt für mich ja immer nach niederländischer Hafenstadt. So wie Rotterdam irgendwie nach Dosenfisch klingt. Also metallisch. Haha. Mir fallen auf Anhieb auch nur zwei Metal-Bands aus den Niederlanden ein. Erstaunlicherweise spielen beide Doom-Metal beziehungsweise Sludge, wobei mir einfällt, dass ich immer mal nachschauen wollte, was „sludge“ überhaupt bedeutet. Klingt auf jeden Fall grün und nach Schnecke. Angeblich sind ja Schneckenhäuser logarithmisch gekringelt. Natürlicher Logarithmus, schätze ich. Ich zeichne sie auf jeden Fall immer falsch herum. Andererseits zeichne ich auch sprechende Fledermäuse und Spinnen mit sechs Beinen. Das wiederum ergibt Sinn, weil Comicmenschen ja meistens auch vier statt fünf Finger pro Hand besitzen. Seitdem irgendwelche Deutschfetischisten „macht Sinn“ als eingedeutschtes Englisch klassifizierten, klingt für mich beides doof: ergibt Sinn und macht Sinn. Überhaupt ist meine Rechtschreibung seit den Reformen mit einer allgemeinen Unsicherheit bestückt. Früher schrieb ich meistens nach Gefühl, heute zweifle ich viel zu oft und frage das Netz. Wow, ein „Früher war alles besser.“-Satz. Demnächst verscheuche ich noch Kinder von meinem Rasen. Tatsächlich wohne ich ja in einer derart ruhigen Gegend, dass vorbeifahrende Autos oder spielende Kinder als störend empfunden werden können. Aber ich habe ohnehin meistens Musik an. Meistens sogar ziemlich laut, was niemanden zu stören scheint, weil meine Nachbarn entweder abwesend oder schwerhörig sind. Die linke Nachbarin beschwert sich trotzdem, allerdings vor allem, wenn ich dreist über ihren Teil des Rasens laufe. Typisch schwäbisch, denke ich dann. Immerhin muss ich keine Kehrwoche machen. Eine Kollegin ist mietvertraglich dazu verpflichtet, während der Kehrwoche auch in den Mittagspausen heimzukehren und Schnee zu schippen, sobald zwei oder drei Flocken vom Himmel fallen. Ich mag ja Kokosflocken, wobei ich eigentlich gar nicht weiß, ob die für Fleischvermeider geeignet sind. Gummibären enthalten oft genug Gelatine, das wiederum aus Tierknochen gewonnen wird. Wobei sich eindeutig die Frage stellt, wer auf die Idee kam, Süßspeisen aus Tierabfällen zu kreieren. Klingt eklig, ist aber vermutlich normales menschliches Verhalten. Irgendwie muss man ja schließlich in der Vergangenheit auch herausgefunden haben, welche Früchte und Beeren essbar sind und welche nicht. Himbeeren zu Beispiel. Lecker. Brombeeren, ihre gruftigen Brüder, sind oft weniger süß, aber unweit meiner Wohnung befinden sich ein paar Sträucher, die zur richtigen Jahreszeit große, saftig-schwarze Beeren präsentieren und mir den Weg zur Arbeit auf das Allerschönste versüßen. Ein paar der Sträucher stehen an der Straße, und ich traue mich nicht, dort zu ernten. Auch früher, als ich noch Meerschweinchen besaß, habe ich den Löwenzahn immer aus den Tiefen von Parks, fernab jeder Straße, geholt, damit die kleinen Tierchen keinen Abgasdreck futterten. Es war immer amüsant, wie sie sich freuten, sobald die mit Löwenzahnblättern gefüllt Plastiktüte in ihrer Nähe raschelte. Später, als sie das Rascheln kannten, war jedes Rascheln, auch in der fernen Küche, Grund für sie, sich auf zwei Beinchen zu stellen und begeistert zu quieken. Bevor ich in den Stimmbruch kam, konnte ich Meerscheinchenquieken nahezu perfekt imitieren. Ich konnte auch ein Geräusch erzeugen, dass ich als „Trillern“ bezeichnete, eine Mischung aus Pfeifen und Schreien, das ich beispielweise dazu nutzte, um aus dem Innenhof heraus meinen Bruder ans Fenster zu locken. Manchmal musste er mir den Wohnungsschlüssel hinunterwerfen, damit es gegenüber unserem Vater nicht so aussah, als hätte ich ihn wieder vergessen. Wenn ich heute in den Waschkeller gehe, habe ich immer Angst, den Schlüssel unterwegs zu verlieren und dann vor verschlossener Tür zu stehen. Deswegen entriegle ich meistens die Terrassentür, um notfalls wieder in meine Wohnung gelangen zu können. Seitdem ich hier wohne, habe ich noch nie den Schlüssel vergessen. Aber ich vergaß bereits, die Terrassentüren zu schließen und durfte nach diversen Stunden Abwesenheit feststellen, dass niemand die Gelegenheit nutzte, um mich zu bestehlen. Oder vielleicht nutzte jemand die Gelegenheit, fand aber nichts Stehlenswertes und ging unverrichteter Dinge. Ich bin einmal in meine eigene Erdgeschosswohnung in einer anderen Stadt eingebrochen, indem ich irgendwo klingelte, aus einem fremden Keller einen Schraubendreher stahl und mit nur vier Schraubenentfernungen das angekippte Küchenfensterchen ausbaute. Seitdem glaube ich nicht mehr an Sicherheit, nur an Gelegenheit. Autos beispielsweise kann man eigentlich offen lassen. Wenn jemand versucht, die Tür zu öffnen, befindet sich in seinem Kopf bereits die Diebstahlidee und der Weg zur mutwilligen Zerstörung einer Autoscheibe ist kurz. Dann lieber die Tür offen lassen. Ich freue mich bei nächtlichen Clubbesuchen ja immer, dass ich schwarze Klamotten trage, weil die nicht gesehen werden, wenn man sie auf dem Fahrzeugboden deponiert. Bei auffälligerer Deponierung wäre vielleicht der Anreiz größer. Womit sich die Frage stellt, wo die Grenze liegt, ab wann also ein Stehlenwollen im Kopf entsteht? Schon bei Lächerlichkeiten wie Schokolade? Ich erinnere mich an im Auto zurückgelassene Schokolade, die in der Sommerhitze schmolz. Regenerierungsversuche im Kühlschrank erwirkten nur die eine komische hellbraun-weiße Verfärbung, die äußerst unappetitlich war und den Schokoladengenuss trotz Geschmacksgleichheit schmälerte. Ohnehin ist komisch, dass etwas Braunes mit „lecker“ assoziiert wird, wo doch Braun entweder Fäkalien oder Faschismus symbolisieren. Ich frage mich ja, was passiert wäre, wenn Hitler nicht Hitler, sondern Bronn oder Kräuter geheißen hätte. Dann wären Heilkräuter verboten. Oder eben Heilbronn. Heilbronn verwechsle ich im Kopf ja immer mit Hildesheim. Genauso wie ich aus irgendeinem Grund immer wieder Rod Stewart und Paul McCartney verwechsle. Oder, wenn ich es ausspreche, Apfel- und Pflaumenmus – obwohl vor meinem geistigen Auge die jeweilige Musfarbe korrekt ist. Dass ich Konstanz und Koblenz verwechsle, ist vermutlich weniger spektakulär. Am Anfang „Ko“ und hinten ein „Z“. Klingt fast wie ein Lied. Koblenz ist wohl die drittgrößte Stadt in Rheinland-Pfalz. Die viertgrößte ist übrigens
trieren.