Stadt der Drehtüren

Daß ich Drehtüren verachte, hatte ich – so glaube ich – bereits irgendwann einmal erwähnt. Gerne würde ich eine donnernd-gesungene Schimpftirade anstimmen, in der auch schwarzmetalltypische Grunz- und Kreischlaute nicht fehlen dürfen, und die von mir als Sinnlos erachteten Drehtüren auf diese Weise musikalisch verteufeln. Doch meine Sangeskünste sind eher in unterem Mittelmaß angesiedelt, was die wenigen Gitarrengriffe, die auszuführen ich vermag, nicht wettmachen könnten. Überhaupt fehlten mir für eine richtige Schimpftiradengesangsformation noch ein ausreichend versierter Basser und ein Schlagzeugmann, den es nicht stört, daß sein Musikwerkzeug stets am hinteren Ende der Bühne positioniert wird.

Drehtüren / ihr widerlichen Drehtüren!„, brüllte ich ins Mikro und scheute mich nicht, anschließend auch gleich die von mir derzeit bewohnte Stadt zu beschimpfen: „Magdeburg / du widerliches Magdeburg / Mööööhhh!!„. Das „Mööööhhh!!“ steht übrigens für einen Grunzlaut im niederen Frequenzbereich.
Magdeburg ist eigentlich gar nicht widerlich. Leider aber ist Magdeburg die Stadt der Drehtüren. Und da Drehtüren eine widerlich-dumme Erfindung darstellen, erdreistete ich mir, in obiger Black/Death-Metal-Komposition die Widerlichkeit der Drehtüren auf die eigentlich gar nicht widerliche Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts zu übertragen. „Magdeburg / du wenig widerliche Stadt / voller widerlicher Drehtüren“ wäre einfach nicht überzeugend gewesen.

Genauso wie einstmals irgendjemand die Bürgermeister Deutschlands von der eigentlich überdenkenswerten Ansicht überzeugte, daß moderne Kunst, insbesondere wenn sie meterhoch, häßlich und rostanfällig ist, öden Innenstädten eine süßlich duftende, sonnenhell strahlende Note kultureller Offenheit und kreativer Freigeistigkeit verleiht und somit potentielle Innenstadtbeleber in Scharen aus umliegenden Dörfern, Bundesländern und Staaten herbeilockt, die die künstlerische Genialität der Altmetallaufbereitungsmaßnahme nicht nur mit vom Staunen geöffneten Mündern und glotzenden Augen, sondern auch mit ausführlichen Kaufexzessen in den innenstädtischen Läden und Cafés zu würdigen wissen, genauso schien einst das Gerücht durch Magdeburg geeilt sein, daß Drehtüren vornehm, ästhetisch und ungemein praktisch seien.

Das sind sie nicht. Drehtüren sind langsam. Öffne ich eine normale Tür auf normale Art und Weise [Klinke runterdrücken; Tür ziehen/schieben; durch den entstehenden Spalt schlüpfen], so überhole ich jeden zeitgleich eintretenden Drehtürbenutzer. Die Zeit, die ich bereits an unnütz langsame Drehtüren verschwendete, hätte ich längst nutzen können, um ein ganzes Album voller musikalisch wertvoller Liedstücke über die Vorteile normaler Türen gegenüber sich drehenden aufzunehmen.
Leider mangelt es oft an Türalternativen, und so bleibt mir keine Wahl, als mich zusammen mit der Tür drehen zu lassen.

Ohne nachzudenken fallen mir drei Drehtüren an zentralen Stellen in Magdeburg auf; und alle drei sind anders, als hätte der Drehtürenverkäufer, der die Hausbesitzer zum Einbau eines solchen Undings überredete, auch noch genug künstlerischen Anspruch gehabt, Einmaligkeiten schaffen zu wollen.

Die Tür zum bahnhofsnahen Vielraumkino beispielsweise muß manuell betrieben werden, eignet sich daher gut als Anschauungsmaterial des Hebelgesetzes: Faßt also Papis übereifrige Tochter zu weit innen an, muß sie wesentlich mehr Kraft aufbringen, das Türungetüm in Bewegung zu setzen, als wenn sie ihre Fingerchen am äußeren Ende der Tür positioniert. Wenn Papi dann nicht schnell genug seine helfenden Erwachsenenhände einsetzt, fängt Papis übereifriges Töchterchen auf der Stelle an zu heulen ob ihrer kindlichen Unfähigkeit, plauzt bockig auf den Drehtürenboden und blockiert somit für allen Nachkommenden die Drehtürbenutzung und somit den Ein- oder Ausgang.
Grundsätzlich vermeide ich es, die Kino-Drehtür zu berühren, mehr Arbeit aufzuwenden, als beispielsweise die Benutzung einer Normaltür benötigt hätte; es kommt immer irgendwer und dreht für mich mit.

Die Tür zum „Palazzo“, einem Café mit einstmals recht noblem Flair, das aber heute nur noch in den Köpfen der Altmagdeburger als vornehm gilt und in Wirklichkeit zur Heimat unfreundlicher Schneckentempo-Kellner wurde, stellt eine besondere Drehtür-Raffinesse dar. Sie steht still, doch sobald jemand in ihr Inneres tritt, reagieren nützliche Sensoren und setzen das drehende Ungetüm in Bewegung. Augenblicke später befindet man sich im Café-Inneren und kann stundenlang darauf warten, endlich die Karte gereicht zu bekommen, während der von der Drehtür eindringende Kaltluftschwall an der nächste Erkältung bastelt.

Das Magdeburger Allee-Center ist eines von jenen Dingern, die mittlerweile in jeder Innenstadt zu finden sind und möglichst vielen Geschäften auf möglichst vielen, durch Rolltreppen und Fahrstühle erreichbare, Etagen in einem einzigen Gebäude zusammenwürfeln. Im Magdeburger Allee-Center findet man neben derzeit fünf Schuhgeschäften [Ein dritte Etage und somit eine Unzahl neuer Schuhgeschäfte soll in wenige Tagen eingeweiht werden.] eine nicht geringe Zahl an Drehtüren. Früher war ich der Ansicht, daß die Drehtüren sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegen würden, doch so etwas wie Konstanz gibt es auch bei ihnen nicht. Ständig wird beschleunigt und abgebremst – und das, ohne daß ein übereifriges Töchterchen in den schmaler werdenden Spalt der Drehtür schlüpft und diese für einen Augenblick zum Stillstand bringt.

Die Allee-Center-Drehtüren besitzen nämlich nur zwei Öffnungen. „Normale“ Drehtüren sind Kreuze, die in vier Kammern Menschen unterbringen und mit sich drehen können. Die zwei Kammern der Allee-Center-Drehtüren dagegen sind zwar wesentlich größer als ein Viertel des Drehtürkreises, aber auch kleiner als die Hälfte. Es bleibt also ein Platz dazwischen, der – natürlich – mit Werbung vollgestopft werden kann. Decken sich diese kammerartigen Öffnungen mit dem Ein- bzw. Ausgang des Gebäudes, dann dreht sich die Tür mit verhältnismäßig langsamer Geschwindigkeit. Hat jedoch die Tür einen Winkel von fast 90 Grad hinter sich gelassen, beschleunigt sie, um den in der Tür stehenden möglichst schnell ihre Freiheit zurückzugeben.

Erdreistet sich ein übereifriges Töchterchen, im letzten Augenblick noch in die Kammer zu hüpfen, hilft auch alles Patschehändchen-Anschieben nichts mehr: Die Tür hält an und gibt den Eingesperrten Grund, ihrem Einkaufsstreß-Ungemach murmelnd und stöhnend Laut zu verleihen. Die ohnehin vergleichsweise langwierige Prozedur verzögert sich zusätzlich.

Tatsächlich verhält es sich jedoch nicht so, daß ich Drehtüren verachte, weil sie sich in quälender Langsamkeit drehen oder weil immer übereifrige Töchterchen oder nacheilende Papis den Gebäudezu- oder -austrittsprozeß unnötigerweise verzögern. Ich habe selten Grund zu derartiger Eile, daß ein paar innerhalb der Drehtür verlustig gehende Sekunden nicht entbehrlich wären, selbst wenn die Sammlung aller verlorengegangenen Sekunden die Entstehung eines guten Black-Metal-Albums mit dem Titel „Drehtür, widerliche Drehtür“ erwirkt hätten.
Nein, was mir mißfällt, ist es, daß sich viele ungeduldige Einkaufswillige gleichzeitig in diese Kammern zu stopfen versuchen – und bei geringster Gelegenheit zu schimpfen beginnen. Ich mag es nicht, mich mit Zentimeterschritten zu bewegen, weil die Platz- und Drehtürgeschwindigkeitsverhältnisse mir keine andere Wahl lassen. Am liebsten, wenn ich eine Drehtür betrete, gehe ich noch eins, zwei Schritte und bleibe dann stehen, bis sich auf der anderen Seite eine Öffnung offenbart, die groß genug ist, mich samt meines Rucksack durchzulassen. Jedoch klappt das niemals, allein schon weil die Nachdrängelnden ständig in Bewegung sein wollen, lieber Millimeterschrittchen zurücklegen, als einen Augenblick lang zu ruhen und abzuwarten.

Ich verachte Drehtüren, weil sie „echte“ Türen in den Schatten stellen. Im Allee-Center werden die Drehtüren nämlich flankiert von zwei „echten“ Türen, die sich jedoch unsinnigerweise nicht von außen öffnen lassen. Will ich also die Albernheit einer Drehtür nicht über mich ergehen lassen, wenn ich das Gebäude betrete, muß ich hoffen, daß eine dieser beiden Türen durch Zufall einen Spalt weit offensteht oder daß gerade jemand das Gebäude verläßt und mir sozusagen die Klinke in die Hand gibt. „Normale Tür / du wunderschöne normale Tür„, summe ich dann und betrete das Allee-Center.

Allerdings lassen sich die flankierenden Türen auch häufig nicht von innen öffnen. „Die Drehtür ist breit genug. Die reicht aus!“, sagt sich der verantwortliche Türenverschließer und dreht den Schlüssel vorsichtshalber einmal mehr im Schloß – damit auf keinen Fall irgendwer dahereilen und diese Tür ihrer Bestimmung zuführen kann. Doch ich eile, drücke die Klinke nach unten, stemme mein Gewicht gegen die Tür, ohne daß sie sich auch nur um Haaresbreite bewegt. „Dieser gemeine Türenverschließer!“, schimpfe ich und überlege, ob ich meinem Black-Metal-Album ein weiteres Werk namens „Türenverschließer / du widerlicher Türenverschließer“ hinzufügen sollte.
Unterdessen bewegen sich die Drehtürbenutzer innerhalb der Drehtür im Schneckentempo vorwärts und lachen mich aus, weil ich etwas Besseres sein und nicht mit dem gemeinen Pöbel die Drehtür teilen wollte. Doch das Lachen bleibt ihnen im Halse stecken, wenn ein übereifriges Töchterchen sich in letzter Sekunde in den Drehtürspalt drängt…

Neulich lief ich quietschvergnügt durch die Magdeburger Innenstadt. Gerade hatte ich eine unversehrte Tafel Mini-Schokolade in meinem Rucksack entdeckt und war nun in Begriff, diese auszupacken und genüßlich zu vertilgen. ‚Hui, es ist Freitag!‘, fiel mir da ein, ‚Zeit, die neuesten Black-Metal-Erscheinungen im örtlichen Musikwarenfachgeschäft zu belauschen!‘. Also begab ich mich zum Allee-Center. Die flankierenden Türen präsentierten sich mit abweisender Verschlossenheit, die Drehtür dagegen mit sympathischer Offenheit. Denn gerade, als ich mich ihr näherte, zeigte sie mir ihre kammrige Seite, so daß ich nur hineinzuschlüpfen brauchte. Ich hatte die Kammer für mich allein und blieb auf der Stelle stehen. Keinen Millimeter bewegte ich mich, während die Tür um mich herum rotierte und ein Stückchen Vollmilchschokolade auf meiner Zunge schmolz. Ich war guter Dinge und vollends vertieft in den Genuß der Süßschmelze in meinem Mund, so daß ich nur am Rande meines Bewußtseins wahrnahm, daß die Drehtür plötzlich stehenblieb.

Ein Farbiger war im letzten Moment zu mir in die Kammer gehuscht. Die Sicherheitssensoren hatten reagiert und die Tür angehalten. Vorsichtshalber. In der anderen Kammer höre ich Leute schimpfen. Ich lächelte vergnügt, weil mich schimpfende Leute immer lächeln machen.
„Jaja!“, sprach der Farbige in perfektem Deutsch, „Diese Scheiß-Ausländer!“ Und dabei grinste er mich an.
Ich grinste zurück, und es war mir egal, ob ich Schokolade an den Zähnen kleben hatte oder nicht.

3 Gedanken zu „Stadt der Drehtüren“

  1. so sehr ich mich auch bei fred jedes mal von neuem frage, ob mir das nun gefällt oder nicht, so sicher bin ich mir, was die texte betrifft

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