Humpeln

Diese zauberhafte Geschichte ist fast neu. Tatsächlich durften zauberhafte Ohren sie bereits erlauschen, als ich zusammen mit der Lesebühne EEASY READER wie jeden 1. Sonntag im Monat am 05.05. im Celtic Cottage in Berlin-Steglitz auftrat. Am 02.06. findet die nächste Begegnung statt – inklusive neuer Geschichten.

Ich humpelte. 

Ich hatte das Humpeln eben erst bemerkt, und es schien noch nicht lange Teil meines Lebens zu sein. Denn nun humpelte ich. Aber das war egal.

Erst vor kurzem hatten meine Gliedmaßen angefangen mit mir zu reden. Wenn meine linke Hand fror, schien sie zu Wörter zu formulieren, schien “Ich friere!” zu sagen und erst wieder Ruhe zu geben, wenn ich sie in die Tasche steckte oder einen Handschuh anzog. Manchmal schwieg die Hand selbst dann noch nicht, redete weiter, und ich war froh, dass ein bisschen Stoff die Stimme dämpfte.

Im direkten Vergleich dazu war das Humpeln kaum noch erwähnenswert. Ich mochte es nicht, wenn meine Gliedmaßen redeten. Humpeln hingegen war so mittel-okay.

Ich humpelte die Straße entlang, gemütlich, brauchte mich nicht zu hetzen, meine ungleich laufenden Füße nicht anzutreiben, konnte einen wackligen Schritt vor den anderen setzen.

Mein rechter Fuß behauptete, er friere, doch ich ignorierte ihn.

Ich ließ meine Blicke wandern, erfreute mich an zufrieden gurrenden Tauben und den Frühlingsgrüßen an den Zweigen der Büsche. Knospen sah ich, die Blüten werden wollten, oder Blätter. Zartes Grün zwischen dem grauen Braun karger Zweige. 

Und einen Schuh.

Einen Hausschuh, um genau zu sein.

Keinen Flipflop oder Badelatsch. 

Keine Sandale, keinen Schlappen. 

Kein Croc, kein Birkenstock.

Nein, einen richtigen Hausschuh, einen klassischen Hausschuh, einen, in den man mühevoll hineinkriechen musste, der auch die Ferse ummantelte, den gesamten Fuß umkränzte und nie wieder losließ. 

Ein Hausschuh aus festem Filz mit harter, unnachgiebiger Sohle und einem Karomuster, das in keiner Gegenwart jemals modern oder nur ansehnlich gewesen war. 

Ein Hausschuh, für die Ewigkeit gemacht.

Nun lag er hier, im Gebüsch, das nur Ast und Zweig war, das noch Gebüsch werden wollte, von sehnsüchtig erwartetem Blattwerk unzureichend verborgen. Er lag hier und sah alt aus, verlassen, aus der Zeit gefallen. Nein, nicht alt, altmodisch. Auf die unangenehme Weise. 

Wie ein abgewickeltes Kassettenband im Rinnsteig. 

Wie ein rostiges Jungpionierabzeichen auf dem Dachboden. 

Wie ein hässliches Stück gestern.

Ich stand hier und schaute den Hausschuh an. Wunderte mich: 

“Wer würde denn so ein mode-fernes, großelterliches Karomuster mögen?”, fragte ich ins Nichts.

“Wer würde sich denn heutzutage so einen antiquierten Hausschuh anziehen?”

“Ich nicht!”, sagte mein nackter, rechter Fuß stolz.

“Ich schon!”, kicherte mein linker Fuß, doch ich konnte ihn unter dem festen Filz kaum hören.

Schulterzuckend humpelte ich weiter.