Frühaufsteher

Es war noch früh am Morgen, da befand ich mich bereits auf dem Weg zur Arbeit. 

Die Sonne reckte noch zögerlich ein paar ihrer Strahlen über den Horizont. Ich genoss sie, dennoch, lief zielgerichtet meinen üblichen Weg. Früher Vogel fängt den Wurm, dachte ich amüsiert. 

Wie jeden Morgen.

Ich mochte die Ruhe vor dem Tagesanbruch, das stille, gespannte Warten auf die Dinge, die da kommen würden – und mittendrin das dumpfe Stakkato meiner eiligen Schritte. 

Um diese Uhrzeit konnte alles passieren. 

An der Haltestelle begegnete ich dem Ei. 

Es lag ganz einfach da, auf der Sitzbank, und starrte mich an. Wie verletzlich es aussah, wie perfekt in seiner Rundung, wie wunderschön in seiner matten Weiße. Ich blieb stehen, neben ihm, betrachtete es. Starrte zurück.

Ein Ei. 

Einfach so. 

Es war nicht groß, stammte vielleicht von einem Huhn oder einem hühnerartigen Vogel. Ihm fehlte es an Maserung, an besonderen Farbtönen, an jeglicher Art auffälliger Merkmale.

Und doch, für mich, für mein zartes Gemüt, war es wunderschön. Hier lag Perfektion. Hier lag – Leben!

Der Bus kam. Bremsen quietschten, die Tür öffnete sich zischend. Der Fahrer sah uns an: das Ei; mich; grinste dann: 

„Wer von euch beiden war zuerst da?“, fragte er. 

„Ich.“, sagte ich rasch, bevor das Ei sich vordrängeln konnte.

„Ich.“, sagte ich noch einmal, bekräftigend, pickte nach ein paar Halmen auf dem Boden, scharrte kurz mit dem linken Fuß – und flatterte dann in den Bus.

2 Gedanken zu „Frühaufsteher“

    1. <3
      (Ich hatte befürchtet, dass irgendwie nicht klar wäre, worauf ich hinauswill. Freut mich, dass du das Gegenteil beweist.)

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