Am 25.02. wird laut Fredkalender stets der fetzige Tag der Schachtelsätze begangen.
Einst, und meine Erinnerung, die üblicherweise nicht nur recht selektiv, sondern auch zuweilen lückenhaft und sprunghaft ist, weigert sich, ein genaues Datum oder auch nur Jahr zu spezifieren, trug es sich in einem kleinen Dörfchen, dessen Bewohner, allesamt gutmütiger und froher Gesinnung, dazu neigten, Sauberkeit und Ordnung wertzuschätzen, und sich, unter anderem in jährlich abgehaltenen Wettkämpfen, deren Sieger mit einem kleineren Geldbetrag und einer prachtvollen Gans belohnt wurde, auch gerne gegenseitig darin maßen, wer von ihnen größere Reinlichkeit und Akkuratesse an den Tag legte, zu, dass sich in einer dunklen, jedoch perfekt sauberen und staubfreien Ecke eines Dachbodens, auf dessen blitzblanken Holzdielen man hätte zu Mittag und sogar zu Abend speisen können, eine Schachtel ein wenig bedrängt fühlte von all den ordentlich gestapelten Kisten, Werkzeugen, Möbeln und Gegenständen, die sie zu allen Seiten hin umgaben, ja einschlossen, und es kaum noch schaffte, genügend Luft von und Blick nach draußen zu erhaschen, um sich einigermaßen wohl zu fühlen, was sie, nachdem sie mehrere Wochen lang intensivst gegrübelt und sinniert hatte, zu der Entscheidung brachte, dass es so nicht weitergehen konnte, dass sie, die durchaus hübsch anzusehen war und deren Inhalt, obgleich man ihn auf dem Dachboden verstaut hatte, noch immer nutzvoll und funktionsfähig zu sein schien, sich nicht länger von all dem ordentlich gelagerten Krimskrams um sie herum bedrängen und verstecken, ersticken und belagern lassen wollte, sondern einen Weg finden musste, in die Freiheit, nach der sie sich so lang schon sehnte, zu entfliehen, auch wenn das für eine Schachtel, die natürlich für Immbolilität geschaffen worden war, ziemlich unmöglich zu sein schien, was sie, unsere kleine, liebe Schachtel, jedoch nicht davon abhielt, zu wackeln und zu wippen, zu zittern und zu ruckeln, als gelte es ein Erdbeben, und zwar eines von gewaltiger Intensität, zu imitieren und schließlich, als sie genug Kraft, genug Energie, angesammelt hatte, in einem gewaltigen, ja formidablen, Satz über ihre bedrängenden, erstickenden Nachbarn hinwegzuspringen, kurz zu poltern und schließlich auf den blitzblanken Holzdielen zu landen, die sie mit funkelndem Glanz und angenehmer Leere willkommen hießen, während hinter der mit solch gewaltigem, ja formidablem Satz in die Freiheit gesprungenen Schachtel die Masse der restlichen Gegenstände, die sie soeben noch bedrängt und erstickt hatten, zu jubeln und zu applaudieren begannen, was das denn für ein gewaltiger, ja formidabler, Schachtelsatz, denn genau darum hatte es sich letzlich gehandelt, gewesen war, wodurch jedoch die Dachbodenbesitzerin Frau Finkelfieps, der selbstverständlich, und das sollte nicht vernachlässigt werden, auch der Rest des Hauses gehörte, verwundert geweckt und letztlich dazu gebracht wurde, mitten in tiefster Nacht, während draußen Sterne am Himmel standen, die den Mond liebevoll bewunderten, und drinnen die Dachbodengegenstände noch immer vor Begeisterung über den Schachtelsatz, den sie soeben erblicken durften, tuschelten und raschelten, die Kisten und Werkzeuge und Möbel aufzuräumen, in ihre alte, akkurate Ordnung zurückzubringen, und alles, was sich während des Schachtelsatzes verschoben hatte, wieder in fast schon penibler Präzision an seine althergebrachte Position zurückzustellen, bis ihr Blick auf die vergnügt am Boden sitzende Schachtel, die gerade einen gewaltigen, ja formidablen, Satz hinter sich gebracht hatte und sich nun in ihrer neugewonnenen Freiheit, wie man an ihrem vergnügten Glimmern sehen konnte, äußerst wohl fühlte, fiel, sie die Schachtel öffnete und in ihr, unter einem recht locker sitzenden Deckel, lauter Spielzeuge aus fernster Kindheit wiederfand, die sie fast vergessen hatte und die nicht nur alte Erinnerungen zurückholten, sondern auch Frau Finkelfieps verschlafenem, und wegen des nächtlichen Aufräumens ein wenig missmutigem Gesicht eine Träne, die so warm und weich und sehnsüchtig war, wie es nur Tränen sein können, entlockte, so dass sie nicht anders konnte, als sich direkt neben die Schachtel, die so viel Schönes, Warmes, Vergessenes in sich barg, auf die Holzdielen zu setzen und bis zum Morgengrauen jedes einzelne Spielzeug anzufassen, zu betrachten, zu bewundern und, während Tränen in großer Zahl ihre rosigen Wangen übergossen, in längst verschüttet geglaubten Erinnerungen zu schwelgen, bis sie sich schließlich irgendwann, es waren bereits diverse Stunden vergangen, langsam und seufzend erhob und beschloss, der Schachtel, der längst vergessenen Schachtel, die vorhin noch einen gewaltigen, ja formidablen, Satz hingelegt hatte und die einen so wundervollen Schatz barg, einen besonderen Platz zu schenken, einen Schachtelschatzplatz, hier, direkt am Eingang des Dachbodens, wo die kleine Schachtel atmen und alles sehen konnte – und wo sie von allen gesehen wurde, die den Wunsch verspürten, in fernen Erinnerungen zu schwelgen.
Wahnsinn, das ist ein äußerst genial gelungener Schachtelsatz. Respekt, ich verneige mich ehrfürchtig!
Merci.
Und so.
wow!
eine ganze kurzgeschichte in nur einem einzigen satz,
welcher auch noch von einer schachtel handelt,
von der ich vermute, dass ein jeder eine solche oder einen ähnlichen
lagergegenstand sein eigen nennt, in den man zwar selten, aber wenn,
dann immer mit einer gewissen nostalgie hineinschaut,
wohl wissend, dass das was vergangen ist niemals zurückkommt
und sich auch nicht wiederholen lässt,
sondern nur stetig blasser werdende erinnerungen und den ein oder anderen gegenstand zurücklässt um letztere daran zu befestigen.
oder so.
Bastian, gegen Dich ist Herr Feuchtwanger, welcher Schachtelsätze sehr liebte und sie vermehrt verwendete in seinen nicht wenigen Romanen, ein Waisenknabe, denn seine Schachtelsätze erreichen nicht diese Länge, welche der Deinige erreicht hat. Weiter so.
@esca, Chris: Hihi. Merci.