Begegnungen 29: Weinbergschnecke

„Ich komme zu spät! Ich komme zu spät!“, rief die Weinbergschnecke, während sie sich durch das hohe Gras am Wegrand kämpfte.
„Kann ich dir helfen?“, fragte ich und bückte mich.
„Ich komme zu spät! Ich komme zu spät!“, wiederholte die Weinbergschnecke und kroch weiter, offensichtlich so schnell sie konnte.
Ich sah ihr zu, wie sie sich Millimeter um Millimeter vorankämpfte, schüttelte dann den Kopf und fragte: „Zu spät? Wofür?“
Die Schnecke hielt inne. Jedenfalls vermute ich, dass sie innehielt. Sicher war ich mir nicht, denn der Unterschied zur Bewegung war nicht sehr groß.
Sie sah zu mir hinauf und schnaufte: „Zur Arbeit, natürlich!“
„Oh.“, antwortete ich. „Das ist schlecht.“
Die Schnecke nickte und begann wieder, sich zu bewegen. Zumindest sah es so aus.
„Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?“, fragte ich die Schnecke.
Die Schnecke hielt erneut inne und ließ ihre Fühler kreisen.
‚Sie denkt nach.‘, vermutete ich und schwieg.
Nach einer Weile nickte die Weinbergschnecke dezent und sagte: „Ja, das wäre nett.“
„Und wo willst du hin?“, fragte ich.
„Dorthin.“, sagte die Schnecke und zeigte mit ihren Fühlern zur Birke auf der anderen Wegseite.
„Und dann dorthin.“, ergänzt die Schnecke und zeigte erneut.
„Aber das ist doch die Richtung, aus der du kamst“, rief ich. „Was willst du denn da?“
Die Weinbergschnecke lächelte.
„Sobald ich dort bin, habe ich mein Tagespensum erledigt. Und dann.“, Das Lächeln der Schnecke wurde zu einem Grinsen. „Dann habe ich Feierabend.“
Ich nickte, hob die grinsende Weinbergschnecke auf, setzte sie auf meine Schulter, und wir gingen los.