Der erste Teil dieser Ausgabe von „MiSt – Morast in Stuttgart“ befindet sich übrigens hier.
Liebevoll streichelte das Sonnenlicht die unzähligen Tulpen, die das nächste Gebäude umkränzten – und natürlich auch den Raben, der es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hatte, mich zu verfolgen. Vielleicht war es auch sein Kumpel, der da auf dem Terrariumsdach hockte und neugierig zu mir hinunterblickte. Ich widmete mich einem eher botanischen als zoologischen Gebäude, besuchte Kakteen und fleischfressende Pfanzen, bestaunte Blüten und hörte dem nervigen Geplapper eines Tukans zu. „Ist bestimmt eine Frau, soviel wie der redet.“, meinte jemand – offensichtlich ohne weibliche Begleitung.
Eine der vielen herumstehenden Karten studierend stellte ich fest, dass mein Orientierungsvermögen schon wieder versagte: Ich hatte mich, schon wieder in Richtung Hauptein- und Ausgang bewegt, ohne auch nur ansatzweise Lust zu verspüren, die Wilhelma bereits zu verlassen.
Also suchte ich einen Weg zurück zu meiner „Route“ – und fand ihn in einem parkähnlichen Gelände, ausgestattet mit Teichen und Springbrunnen, mit Sitzbänken und unzähligen Tulpenbäumen. Zumindest hatte ich diese Baumart bisher so bezeichnet, Schilder lehrten mich jedoch, dass die Bäume Magnoliengewächse seien. Aha, dachte ich fasziniert und bewunderte die weißen oder rosafarbenen Blüten, die wahrlich wunderschön anzusehen sind. Ich mag Kastanienbäume eigentlich sehr gerne und würde sie nicht zuletzt wegen ihrer Früchte als meine Lieblingsbaumart bezeichnen. Doch nun musste ich feststellen, mich längst in Tulpenbäume verliebt zu haben, ohne davon zu wissen.
Die Wilhelma ist besät mit antiquiert wirkenden Bauten, die dem 19. oder 18. Jahrhundert entsprungen sein können, die das Flair eines herzoglichen Lustgartens erwecken. Nichtsdestotrotz sieht man an Ecken Moderne. Nichts wirkt abgewrackt oder veraltet. Selbst das Innere des Raubtierhauses, in allen Zoos Quell der Unästhetik, war erstaunlich angenehm zu begehen.
Der Aufmerksamkeit erheischen wollende Ruf eines männlichen Pfaus drang an mein Ohr und forderte mich auf, die noch unbetrachteten Bereiche des Zoos zu begehen. Dem Pfau selbst konnte ich mich nicht nähern, hatte er sich es doch auf dem Dach eines Gebäudes gemütlich gemacht. vielleicht, um seinen storchigen Vetter nachzuahmen, der zusammen mit seiner Gemahlin ein Nest auf einem der höchsten Gebäude errichtet hatte und hin und wieder in sehenswerter Anmut über den Parkanlagen und Tierhäusern umhersegelte.
Umso näher kam ich den Affen. Dabei wollte ich das gar nicht. Im Affenhaus beispielweise war ich überrascht, kein sonderlich intensives Bedürfnis zu verspüren, die Affen zu betrachten – ja noch nicht einmal dem Tierpfleger dabei zuzuschauen, wie er mit einem Affenbaby, das zugegebenermaßen durchaus niedlich anzusehen war, spielte. Mir kam sogar der Gedanke in den Kopf, dass Menschen sich an Affen erfreuen, weil sie dadurch ohne schlechtes Gewissen über dumme „Menschen“ lachen können.
Doch ebenso wie im Aquarium schaffte man es auch hier, mein Desinteresse zu mindern: Mitten im Affenhaus befand sich nicht nur eine Sammlung diverser Mäuse, sondern auch eine Brutstation, in der zwei frisch geschlüpfte Vogelkinder blind und ooohenswert umhertapsten. Lächelnd verleß ich das Gebäude, suche eine Karte, orientierte mich in Richtung der Bären und der Elefanten, ignorierte die restlichen Affen und lutschte vergnügt an meinem Lakritzbonbon.
Es ging bergauf. Sogar ziemlich steil. Das Panzernashorn wurde gerade gefüttert. Elefanten fetzen sowieso. Ein Leopard tigerte herum. Das Raubtierhaus sah von außen erstaunlich groß aus und roch
von innen nicht nicht, aber doch wenig genug. Zudem befand sich dort eine Toilette, deren Existenz mir Erleichterung verschaffte.
Dann ging es zu den Bären. Vor allem die Eisbären wurden von begeisterten Betrachtenden umzingelt, und es war für mich nicht schwer, den berühmten Wilbär ausfindig zu machen. Er schlief und wirkte, obwohl ich versuchte, mich der allgemeinen Verniedlichung von Eisbären zu verweigern, äußerst niedlich. Ich verzichtete jedoch auf ein „Oh, süß!“, schmunzelte nur ein bisschen und ging dann weiter. Bei den Zebras hörte ich die altbekannte Frage, ob diese denn nun weiß-mit-schwarzen-Streifen oder schwarz-mit-weißen-Streifen seien und zwischendurch begegnete ich mal wieder meinem Freund, dem Raben.
Ich gelangte an ein weiteres Gewächshaus, wo unter anderem eine riesige Blume namens Titanenwurz darauf wartete, ihren immensen Blütenstand zu entfalten und die Umgebung mit nasenbetäubendem Aasgestank zu beglücken. Mein Interesse an zoologischen und botanischen Gärten war mittlerweile rapide gesunken, doch fand ich plötzlich inmitten des Gewächshauses einen Raum, der mich alle Mattigkeit vergessen ließ: Das Nachttierhaus.
Der Zugang lag in komplettem Dunkel, und vorsichtig schritt ich voran. Dann verbreiterte sich der Gang zu einem Raum, noch immer dunkel, doch mit Schwarzlicht beleuchtet, so dass es nicht nur möglich war, sich ohne blindes Tasten voranzubewegen, sondern auch Tiere zu sehen, die offensichtlich in Dunkelheit bleiben sollten.
Das erste Wesen, das ich sah, sah ich nicht. Die reduzierte Beleuchtung brachte den Nachteil mit sich, dass es den eigentlich der Beschauung dienenden Zoobewohnern leichter fiel, sich zu verstecken – insbesondere wenn aus der Beschriftung nicht hervorging, wonach eigentlich zu suchen war.
Umso leichter war es, Fledermäuse zu finden. Inmitten eines riesigen schwarzlichtdunklen Raumes befanden sich so viele dieser Flatterttiere, dass ich mich von vorneherein weigerte, sie zu zählen. Ich war begeistert.
Sie hingen überall. Von Seilen, von Ästen, ja sogar direkt an der Glasscheibe, die sie von uns Gaffenden trennte. Unterschiedlichste Arten waren zu sehen, umgeben von allerlei Obst, von dem einige umherfliegende Exemplare immer wieder im Flug abbissen.
Auf dem Boden kroch ein besonders interessantes Exemplar herum. Es hatte anscheinend keine Lust zu fliegen und bewegte sich fort, indem es Flügel und Füße als Kriechwerkzeuge benutzte. Fasziniert beobachtete, wie es sich erstaunlich schnell in Richtung Wand bewegte, dort erst einen Ast, dann ein Seil hochkletterte und sich schließlich zufrieden hängen ließ. Lange blieb ich, um die Flederwesen zu beschauen, die mir bekanntlich ein wenig ans Herz gewachsen sind.
Dann war es Zeit zu gehen. Auf dem Weg zum Ausgang erlebte ich versehentlich noch eine Seelöwenfütterung und den Streit mehrerer Pelikane. Auch war der Rabe [Ich hatte, weil es mir besser gefiel, beschlossen, dass es sich nur um ein einziges Exemplar handelte.] extra gekommen, um mich zu verabschieden. Ich winkte ihm zu und ging dann zur U-Bahn-Haltestelle.
Aufgrund eines Polizeieinsatzes am Hauptbahnhof musste ich in Stadtmitte umsteigen und auch dort zunächst eine Viertelstunde auf meine Bahn warten. Doch ein Apfel, ein gutes Buch und die Freude über einen wirklich schönen Nachmittag in der Wilhelma versüßten mir die Zeit.