Während ich an der Haltestelle stand und auf meine Bahn wartete, kam ein älterer Man mir kurzem, weißem Haar und fragendem Gesichtsausdruck langsamen Schrittes herbeigelaufen. In unmittelbarer Nähe des Haltestellenhäuschens blieb er stehen und blickte suchend auf den Boden. Noch bevor ich mich fragen konnte, was er verloren hatte, bückte er sich und hob eine Zigarettenkippe auf.
Nun finde ich Zigarettenkosnum an sich schon verhältnismäßig ungut, doch der Zwang, der einen dazu treibt, kümmerliche Reste ehemaliger Rauchwaren vom Boden aufzuklauben und in der eigenen Tasche verschwinden zu lassen, betrübt mich. Ich fragte mich, was er später mit dem Stummel machen würde, aber ihn noch einmal anzuzuünden versuchen würde, um ihm ein oder zwei Züge zu entlocken, oder ob er nur den Tabak herausbröseln, ihn sammeln und zu neuem Glutgut vereinigen würde. Doch dafür bräuchte er Papers, die wiederum Geld kosteten.
Die Geschwindigkeit, mit der er den Stummel in seiner Jackentasche verschwinden ließ, obgleich er ansonsten recht ungelenk wirkte, ließ mich zweierlei vermuten: Er praktizierte die Stummelsuche regelmäßig. Und: Er schämte sich ihrer.
Der Mann ging weiter und zeigte dabei einen erstaunlichen Laufstil: Alle paar Schritte blieb er stehen, hielt inne und schaute auf den Boden. Zwei Schritte. Stehenbleiben. Gucken. Weitergehen. Vier Schritte. Stehenbleiben. Auf den Boden schauen. Weitergehen.
Ich war versucht, ihm einen Euro zuzustecken oder mehr, damit er sich echte Zigaretten kaufen könnte, doch zugleich weigerte ich mich, diese üble Angewohnheit zu unterstützen. Glücklicherweise – für mich, für ihn eher unglücklicherweise – entdeckte er keinen weiteren brauchbaren Stummel und lief weiter, fort von der Haltestelle, fort aus meinem Blickfeld, sein Laufmuster beibehaltend: Ein paar Schritte. Stehenbleiben. Gucken. Weiterlaufen.
Am nächsten Tag sah ich ihn wieder. Ich befand mich auf dem Weg zur Haltestelle, als er mir auffiel. Er hatte seine Jogginghose in die Socken gestopft. Zumindest sah es so aus, und ich fragte mich, warum mir das am Vortag nicht aufgefallen war.
Der Mann ging vor mir, und ich drosselte die Geschwindigkeit, um seinen Laufstil zu beobachten. Und tatsächlich: Ein paar Schritte. Innehalten. Weiterlaufen. Immer wieder.
Heute verzichtete er auf den suchenden Blick auf den Boden, doch auf dafür gab es eine Erklärung: Er rauchte.
In seinem Mund steckte eine fürchterlich stinkende Zigarillo, die er immer, wenn er gerade lief, in die Hand nahm, und an der er immer, wenn er stand, zog. Eigentlich wirkte es eher so, als würde er bewusst alle paar Schritte innehalten, um genüßlich an der Zigarillo zu ziehen. Rauchen. Weiterlaufen. Stehenbleiben. Rauchen.
Verdutzt überholte ich ihn. Hatte sein Rauchverhalten seinen Gehstil geprägt?, fragte ich mich. Konnte es sein, dass er sich so sehr an das Innehalten gewöhnt hatte, dass er gar nicht mehr imstande war, anders zu laufen? Dass er, selbst wenn er nicht an einem Glimmstengel zog, Pausen machte und diese nutzte, um auf dem Boden nach weiterem Rauchzeug zu schauen?
Als meine Bahn kam, lächelte ich kurz: Das stetige Innehalten zum Inhalieren oder Stummelsuchen lieferte eine völlig neue Definition des Wortes „Raucherpause“…