Über den Tonträgererwerb

Gestern war die Gravitation der Ansicht, einige meiner Tonträger dem Teppichboden näher bringen zu müssen, und ich nutzte die Gelegenheit, das zu tun, was ich ohnehin sei Wochen tun wollte: Aufräumen.

CDs aufzuräumen klingt an sich schon antiquiert, und dass ich nebenbei noch ein paar Kassetten fand, machte die Sache nicht moderner. Zugleich aber barg das Sortieren und Wegstellen einige Überraschungen, die nicht selten in ein gemurmeltes „Ich wusste gar nicht, dass ich mir das gekauft habe…“ mündeten. Häufig genug geschah es, dass ich mir die Frage stellen musste, wann ich denn diese CD erworben hatte. Oder warum.

Ein Grund für meine Vergesslichkeit ist natürlich die Digitalisierung: Kaum habe ich die CDs erworben, werden sie auf den Rechner kopiert und fortan vorwiegend von dort belauscht. Booklet und Cover, zwei Dinge, auf die ich beim Kauf durchaus Wert lege, erweisen sich aus dieser Perspektive als bedeutungslos. Sicherlich, ich erinnere mich daran, das Album zu besitzen, doch geriet offensichtlich in Vergessenheit, dass ich es in guter alter Silberscheibenweise erwarb und nicht auf internettigeren Wegen.

Ein weiterer möglicher Grund für die Überraschung ist offensichtlich: Das Album war zu schlecht. Dabei muss „zu schlecht“ nicht zwangsläufig bedeuten, dass es mies war und dass ich das investierte Geld besser für anderes hätte ausgeben sollen. Ebenso kann sein, dass ich das Album mal gut fand, zum Zeitpunkt des Kaufs beispielsweise, dass ich meiner Begeisterung erlag, doch diese nicht lange anhielt. Weil ich anderes fand, vielleicht. Weil es zu einem ungünstigen Zeitpunkt kam, nicht in meine Stimmung passte. Oder weil es einfach scheiße war.

Viele Alben besitze ich, weil ich die Vorgängeralben besitze und diese mir durchaus gut gefielen. Ich kaufte also das neue Werk, doch stellte irgendwann fest, dass sich etwas geändert hatte. Entweder ich und mein Musikgeschmack oder das musikalische Schaffen der Band. Wahrscheinlich aber beides. Wenn die Änderungen in verschiedene Richtungen gingen, passiert es, dass ich die CD betrachte und mich wundere, warum ich sie erwarb, obwohl sie mir doch offensichtlich recht rasch missfiel. Sich von einer einstigen Lieblingsband zu lösen jedoch ist ungemein schwer und braucht oft Zeit in Form von mehreren unguten bzw nicht gefallenden Alben.

Was wäre, frage ich mich somit, wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, wenn ich mich dem Kauf dieses oder jenes Albums, das ich aus heutiger Perspektive mit Abneigung betrachte, verweigert hätte, wenn ich gewusst hätte, dass das, was ich gerade erwerben möchte, mir alsbald unangenehm sein würde? Was wäre, wenn ich all das Geld und all die Zeit, die ich in diese Alben investierte, gespart hätte? Was wäre, wenn ich auf alle Werke, die mich heute in meiner Sammlung stören, verzichtet hätte?

Eine dumme Frage, stelle ich sogleich fest. Nicht nur, weil es technisch unmöglich zu realisieren ist, mein früheres Ich zu „warnen“, sondern auch, weil sich Geschmack eben ändert. Ich kann heute nicht mehr jede meiner früheren Begeisterungskäufe nachvollziehen, doch heißt das nicht, dass die damalige Freude unnütz gewesen wäre. Nein, auch wenn die Freude womöglich nicht lange anhielt, war sie doch vorhanden, und wer weiß, vielleicht kommt sie eines Tages zurück. Schließlich mag es zwar sein, dass ich aus heutiger Sicht früher zuweilen Ungutes kaufte und hörte, doch was werde ich morgen denken, was morgen mögen? Vielleicht finde ich dann alles, was ich heute höre, blöd, vielleicht auch das, was ich gestern mochte. Mein Geschmack ändert sich eben, kontinuierlich und schwer lenkbar, und es grenzt an Albernheit, den Kauf irgendwelcher Werke zu bereuen, bloß weil ich heute ihnen gegenüber anders empfinde.

Hinzu kommt, dass es gar nicht so einfach ist, ein Album zu beurteilen. Wenn es prinzipiell mit dem übereinstimmt, was ich an Musik mag, wenn es womöglich auch noch von einer Band stammt, die ich früher schon mochte, deren Vorgängerwerke ich vielleicht sogar besitze, dann ist es schwer für mich, eine CD schlecht zu finden. Und wenn ich gerade in einem Stimmungs- und Finanzhoch verweile, wenn alle Zeichen positiv sind, warum sollte ich nicht mal eben die paar Euro investieren und mir einen netten Tonträger zulegen, der mir sicherlich gefallen wird? Und selbst wenn das erste Reinhören nur mittelmäßige Ergebnisse brachte: Viele Alben, die ich heute liebe, sind derart gestrickt, dass ich mich erst in sie hineinfinden musste, um wirklich eins mit ihnen zu werden. Warum sollte ich nicht einem potentiellen Gutfindalbum die Zeit gewähren, die es braucht, um sich hineinzufinden und ein endgültiges Urteil zu fällen?

Sicherlich, wenn das Urteil zu Ungunsten des Werkes ausfällt, habe ich Pech gehabt. Doch wer weiß? Vielleicht lag es ja nur an meiner Stimmung, an meiner Laune, an momentanen Geschmackswankungen? Wer weiß, vielleicht gefällt mir das Album ja in ein paar Wochen?

Bis dahin ist es zu spät. Das Album steht in meinem Regal; ich habe es letztlich kaum gehört, vergesse allmählich, dass ich es kaufte – und finde es irgendwann wieder. Bereue ich diesen Kauf?, frage ich mich dann und schüttle nach ein paar Augenblicken mit dem Kopf. Nein, ich bereue nicht. Und war es auch noch so großer Schrott.