Ich spürte förmlich, wie mir das Geld in die Tasche kullerte.
Ich saß im Buchgeschäft und las – und war dabei, 7 Euro 90 zu sparen, weil ich die wenigen Max-Goldt-Texte, die ich im Buch „Der Krapfen auf dem Sims“ noch nicht kannte, nun konsumierte. Danach stellte ich das Werk ordnungsgemäß in das Regal zurück und ging, ohne irgendetwas gekauft zu haben. Noch nicht mal einen Automatenkakao hatte ich während meiner parasitären Ergötzung zu mir genommen.
„Wenn das jeder machen würde…!“
Macht aber nicht jeder. Oft genug schon war ich bereit, selbst nach längerem Probeschmökern, mein erwähltes Buch zur Kasse zu tragen – und mußte dort jedesmal warten, weil eben nicht jeder liest und kauflos geht.
Den Buchladen hinter mir lassend begegnete ich einem Bekleidungsgeschäft namens „ME“ mit Argwohn – was ein durchaus schönes Wort für etwas eigentlich wenig Positives ist. Doch ich rang mich durch, den Laden zu betreten und lässig hindurchzuschlendern. Lässiges Schlendern ist wichtig, denn mir mißfällt es, von Verkäufern und stilistisch dem Ladeninneren folgenden Kunden als der Eigentlich-Nicht-Hier-Reingehörende erkannt zu werden, der ich bin.
Ich mag es, Kleidungsstücke auszuprobieren, doch fürchte mich davor, unbekannte Läden zu betreten, die ausgestellten Stoffwaren zu beschauen und mich völlig fremd und somit unwohl zu fühlen – inmitten soviel unnützer Häßlichkeit.
Als ich die Schwelle hinter mir gelassen hatte, hörte ich auf, diese Angst zu begreifen. Das lässige Schlendern klebte unverrückbar an mir fest und mein beiläufiges Interesse erregte keine Verkäufer-Herbeieil-Aufmerksamkeit. Das Gleiten des Blickes ließ mich keine Hose in gesuchter Art entdecken,dafür jedoch einen neuen Grund für meine Angst – als ich plötzlich mit mir völlig unbekannten Kleidungsgrößenangaben konfrontiert wurde: Größe 48!?!
„Eigentlich will ich es gar nichts wissen.“, tröstete ich mich, als mein lässiges Schlendern zur kontrollierten Laden-Verlaß-Bewegung mutierte.
„Eigentlich sah die Hose ohnehin ungut aus.“, beruhigte ich mich, während ich „ME“ hinter mir ließ und nach Einkaufs-Neuland Ausschau hielt.
„Außerdem war die Musik schlecht.“, erschauerte ich nachträglich, mich des miesen Dance-Remixes eines noch mieseren Popsongs entsinnend.
Widerliche Lautsprecherabsonderungen waren stets ein guter Grund gewesen, eine Lokalität zu verlassen, und ich bewundere die Präzison aller Läden, die darauf Wert legen, mit angeblich kaufanregender, Musik imitierender Akustikuntermalung meinen Geschmack exakt zu verfehlen.
Vor dem „Opus“ hielt ich inne und fragte mich, ob es dort Damen- oder Herrenbekleidung zu erwerben gab. Seit jeher bin ich ein Verfechter deutlicher Trennungen zwischen den Geschlechtern – zumindest im Verkaufsbereich. Nicht nur, weil ich so imstande bin, anklagende Vortäge über die Unverhältnismäßigkeit der Dimensionen des dem weiblichen Geschlecht vorbehaltenen Einkaufbereichs im Vergleich zur Winzigkeit des für Männer reservierten zu halten. Nein, zusätzlich mißfällt mir die Vorstellung, an der Kasse darauf hingewiesen zu werden, daß die eigentlich perfekt passende Hose den Knopf auf der falschen Seite habe und demnach nicht für mich und meinesgleichen geeignet sei.
Ich lugte hinein und fand Damenbekleidung. Schon wollte ich mich empören, weil „opus“ doch das lateinische Wort für „Werk, Arbeit“ ist und lateinische Wörter auf „-us“ im Allgemeinen maskulinen Geschlechts sind. [manus, Hand, bildet eine Ausnahme.] Als dementsprechend ungünstig erachtete ich es also, ein Damenbekleidungsfachgeschäft mit einem männlichen Namen zu belegen, der zudem auch noch der Bandname des Interpreten eines der bekanntesten Partylieder, nämlich „Live Is Life“, war.
„Live Is Life“ ist übrigens eines der Lieder, von denen es nur eine Live-Version [Wie passend! Zufall?] zu geben scheint, keine „echte“. Marius Müller-Westernhagens „Freiheit“ gehört in dieselbe Kategorie.
Doch zurück zu Frauenläden mit Männernamen: Ist „opus“ wirklich männlich? Ich erinnerte mich undeutlich, daß dieses Wort eine Ausnahme darstellte, und beschloß, zu Hause entsprechende Nachforschungen anzustellen. Wenn mich nicht alles täuschte, war „opus“ gar ein Neutrum – was ja nun wieder „voll okay“ wäre.
Ich spürte das gesparte Geld förmlich in meine Taschen kullern, als ich die Wohnungstür aufschloß – denn ich hatte es letztlich weder für ein Buch noch für eine Hose ausgeben können.
und nun schlenderst du immer noch lässig in Bundfaltenhose daher? *kicher*