Blütentische und ein lesender Käfer

Dieser Raum blüht.

Als ich ihn betrete, umschwirren mich Menschen wie Bienen, Tausend kleine Flügelwesen, mich bemerkend, ignorierend, ihrer Wege ziehend, mit sanftem Gebrumm die Stille füllend. Summend verharren sie an der einzigen Quelle, hocken hektisch wuselnd auf reinen, weißen Blütenblättern, andere berührend, flüchtigen Kontakt zu ihnen suchend, als müßten sie sich der gegenseitigen Anwesenheit versichern. Doch sie sind hier, agieren majestätisch, königlich, als gehörte ihnen jede Blüte, jeder freie Platz in diesem Raum, als wüßten sie, was geschehen wird.

Ihr Brummen wirkt vertraut und fremd zugleich, wirkt so sicher, sich ihrer selbst, ihres Wollens bewußt, und einen fragenschweren Augenblick später wird mir klar, warum. Sie sind nicht allein, niemals ist eine von ihnen allein. In Gruppen schwirren sie zwischen den Blüten hindurch, nehmen auf ihnen Platz, unzertrennliche Einheiten bildend, durch eigene Brummlaute, eigenartiges Gebaren, eigens besetzte Blüten, abgesteckte Territorien, bestätigt und von anderen emsig umherhuschenden Bienengrüppchen abgesondert.

Ich bin allein, ein träger Käfer, dessen durchscheinendes Flügelkleid nach hektischem Flug, nach dem wahnwitzigen Versuch, die verstrichene, hinfort eilende Zeit zu überholen, noch immer zittert, nicht zur Ruhe kommt, ein Flatterbrummen verursacht, das mir die Fühler, die winzigen Gliedmaßen beben läßt. Für einen Moment verharre ich im dämmrigen Eingangsbereich, überschaue mit Facettenblicken die wimmelnde Bienenmasse auf der Blütenwiese, ihr Hocken und Starren, ihr Summen, das zuweilen einem Lachen gleicht, das perfekte Goldschwarz ihrer abendlichen Gewandung, das mich schwarzen Käfer grinsen läßt. Mein schwarzer Chitinpanzer glänzt gülden im matten Kunstlicht und erweckt immer wieder den zarten Eindruck, ich wäre ein passender Teil, zumindest jedoch nicht verkehrt, kein wirklich Fremder im hellen Blütenmeer.

In klitzekleinen Trappelschritten bewege ich mich zur Quelle, finde einen Tropfen klaren Wassers, trage ihn zu einer freien Blüte am unbeleuchteten Rand, erklimme den Stengel und lasse mich auf dem weißen Blütenblatt nieder. Der Tisch ist leer, und ich bemühe mich, meinen starren Leib – eine angemessene Bequemlichkeit suchend – auf dem Blütenblatt zu verteilen, ohne jedoch allzu sehr aus der Rolle des Bienenfreunds zu fallen, ohne die innere Fremdheit allzu sehr nach außen zu kehren. Ich lächle, freue mich über die Sicht, von den restlichen Blütentischen unbeeindruckt, auf das knorrige Stück Holz, das in nicht allzu großer Ferne darauf wartet, mit einem Lesenden bepflanzt zu werden.

Noch immer flirrt mein Flügelkleid, vermochte nicht völlig, die eigentlich zurückgelassene Ankunftshektik abzustreifen, am garderobierten Eingang abzugeben, surrt leise, als wünschte es Ablenkung, einen stillen Moment im Inneren meiner Gedanken. Ich suche, doch das stiftlose Sortieren alter Kassenzettel vermag die stille Unerträglichkeit des auf die Hektik folgenden Wartens nicht zu besänftigen.

Die Bienen schwirren weiter, ihre reservierten Blütenblätter findend, die fetten und weniger fetten Wänste darauf niederlassend, als wäre es das ihnen angeborene Recht. Ein Bienenwesen kommt herbeigesurrt, blickt mir aus Tausend Facetten eine Frage in den Kopf, die ich mit einem gemütlichem Zangenklappern beantworte, als hätte ich eine andere Wahl. Die Biene dankt – und entreißt meiner Blüte ein glitzerweißes Blatt, trägt es behende zu einer anderen Blüte, wo es wenig kunstvoll hinzugefügt wird. Sie will bei den ihren hocken, läßt sich nieder, die gesellige Rune mit imposant wackelnden Fühlern begrüßend. Ich beobachte das Schauspiel, bemerke beeindruckt wie das eigentlich weibliche Wesen mit übermännlichem Verhalten, mit Bier, Zigarette und rauhem Gebrumm dem Blütenmittelpunkt zu erheischen sucht, wende mich ab, meinem Wassertropfen zu, der in der Blütenmitte, im Kelch, schwebt, als wäre er köstlichster Nektar, harrend des mir zu bereitenden Genusses. Ich lächle, vergesse die Bienen, die fehlende Beschäftigung, die leise zitternden Flügelchen, und beobachte voll Wonne das Perlen winzigster Bläschen, die in seinem Inneren gefangen ein winziges Eigenleben zu entfalten versuchen.

Wieder und wieder rüttelt mich das aufdringliche Gebrumm einer Biene aus meinen faszinierten Träumereien, wuselt um mich, um alle Tische herum, zupft Blütenblätter, um sie an anderer Stelle einzufügen, befühlt unzählige Bekannte und Freunde mit absurd langen Fühlern, flitzt mit auf dürren Gliedmaßen durch den Raum, als wäre sie von besonderer Wichtigkeit, als wäre sie der ungekrönte König des Schwarms. Und mit jedem Vorbeigleiten sinkt mein Wille, mein Wunsch, sinkt die Bereitschaft, auf dieser Wiese, auf diesem Blütenblatt, verweilen zu wollen, befürchte ich doch für einen Moment, in ihm, dem ruhelosen Unsympath, den künftig Lesenden entdeckt zu haben. Doch der Eintritt ist gezahlt, riß ein kleines, aber bemerkbares Loch in meinen Panzer, dem zugute ich abzuwarten bereit, dem Lesenden eine Chance zu geben gewillt bin.

Noch zwei weitere Male kreist eine Fremdbiene in meine Nähe, um mit dem typischen Fragenblick ihren Facettenwunsch in meinem Schädel zu drängen, um ein bestätigendes Zangenklappern zu erhalten und voll Wonne meiner nur noch karg bestückten Blüte ein weiteres Blütenblatt auszureißen. Letztlich bin ich allein – ich freue mich heimlich darüber, hatte ich doch an diesem Abend nichts anderes ersehnt, sitzend auf dem letzten Blütenblatt, mit verblassender Ungeduld das Kommende erwartend.

Die Wichtig-Biene hockt sich vor das Holz, lenkt mit lautem Summen die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich, läßt das allgemeinen Gesummbrummsel verstummen, leitet den Abend ein. Ich atme auf, koste erleichtert vom köstlichen Naß meines Tropfens, lasse die lebenslaufigen Leierworte des Einleiters über mich ergehen wie einen nicht ersehnten Regentag und erwarte – wieder einmal unmerkbar lächelnd – freudig die Ankunft des eigentlichen Lesers.

Und tatsächlich, dort sitzt er schon, Bernd Lichtenberg, ein kuschliger Käfer, der sich auf dem morschen Holz, im Mittelpunkt Tausender Augen, nicht recht wohl zu fühlen scheint, der sich leise bedankt und zu lesen beginnt.

Ich lausche, bin entzückt. Kleine Geschichte dringen an mein Ohr, liebevoll erzählt, zugleich ein inneres Lachen und tieferes Hinterhersinnen fordernd, Geschichten, die nach weitern fordern, das Lauschen zu einem leisen Genuß ausarten lassen. Selbst die Bienen verstummten, schweigen, hören zu. Nur hin und wieder kehrt eine von ihnen das innere Lachen nach außen, stört meine empfindlichen Sinne. Doch ich beruhige mich wieder, lasse mich auch vom Ärger über störende Forteilende nicht erfassen und versinke in kleinen Welten, die heil und beschädigt zugleich sind, die mir gefallen und mich feststellen lassen, daß diese Art und Weise, den Abend zu füllen, die richtige war.

Als der Käfer endet, knattern wir erfreut mit den Flügeln. Abwartend, fast bescheiden, sitzt der Lesende auf seinem Holz, will fliehen, sobald das Geräusch verklang, sobald der wichtige Ein- und Ausleiter wieder zum Vorschein tritt. Doch dieser läßt ihn nicht, schickt ihn auf sein Holz zurück, fordert ein Gespräch, einen Autor-Leser/Hörer-Dialog, den keine Biene – und auch ich nicht – mit Begeisterung zu beginnen bereit ist. Und so stellt die Wichtig-Biene die erste Frage, die Motivation betreffend, Hintergrunde erfragend, die mich nicht interessieren, befürchten lassen, die kleinen Geschichtchen in meinem Käferkopf mit unangenehmem Nachgeschmack zu bekleistern. Ich sauge den letzten Tropfenrest auf dem Blütenkelch und sirre vergnügt von dannen, argwöhnisch glotzende Bienen hinter mich lassend, hinaus in die kühlschwarze Nachtluft, in die ich mich erhebe, zwischen Blättern und Ästen hindurch fliege, als wäre der Himmel allein mein.

Und Fragen drängen sich in meinen Kopf, quellen vielleicht aus dem Gehörten, vielleicht aber auch aus der inneren Ruhe, der Gewißheit, gesellschaftslos angenehme Stunden verbracht zu haben, Fragen, mich und meine Wollen, mein Streben betreffend, Fragen, die ich mir nie zu stellen, nie zu beantworten wagte, Fragen, die zu formulieren ich nicht länger aufschieben sollte, Fragen, die mich begreifen lassen, an einem Wendepunkt zu stehen, mitten in der Luft, Fragen, die mich bewegen und in mir den Wunsch entfachen, öfter innezuhalten und genau solche Fragen in meinen eigenen Schädel zu werfen.

Ich lächle, als ich heimkehre und unter trockenen Birkenblättern meine Träume begrüße.

2 Gedanken zu „Blütentische und ein lesender Käfer“

  1. wunderschöne Übertragung, sehr phantasievoll. Besonders die Blütentische und der schwarze Käferpanzer 🙂

  2. REPLY:
    Eigentlich existierte ein Abend zusammenfassender Text, in dem das Tisch-Blüten-Bild nebenbei auftauchte. Doch dann schmierte während des Speicherns der Rechner ab und löschte so alles bisher Verfaßte. Da ich es aber nicht mag, mich selbst nachzuahmen, habe ich spontan das Bild in einen neuen Text verwandelt. Freut mich, wenn es gefällt…

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