Zwischen uns

„Die Welt berührt mich nicht.“, täusche ich Sorglosigkeit vor.
Meine Lüge ist wahr, in diesen Momenten steht die Welt still, treibt fernab meiner Gedanken durch ein fremdes Universum.

Die Furcht liegt in meinen Augen, verborgen, verbirgt ein Flackern, Sehnsucht vielleicht, vielleicht noch immer Liebe. Meine Hand zittert, als ich mir eine Strähne aus der Stirn streiche.

„Weißt du noch…?“

Der Anfang eines Satzes glüht auf meiner Zunge, brennt sich in meine Sinne, wünscht, ausgesprochen, in den stillen Raum geworfen zu werden. Zu gern wüde ich dich erinnern, mich erinnern, wiederholen, was ich oft, zu oft, sagte – und längst nicht mehr weiß.

Ich recke das Kinn fröhlich nach oben, als könnte ich den mich überschwemmenden Sorgen Widerstand leisten, als könnte ich noch für weitere endlose Momente den Kopf über Wasser halten, mich retten, bis ein neuer Tag, ein neues Leben anbricht.

Du durchschaust mich, spürst die Schatten wartender Tränen in meinen Worten, bemerkst die Falschheit meines Lächelns, weißt um die bleichen Finger, die einen Augenblick zu lang in der Luft verharrten, als wollten sie zu dir enteilen, lang Vermißtes wiederfinden.
Du betrachtest mich, als ahntest du die Fragen, die in mir schlummern, die vielen Worte, die längst den Äther eroberten und irgendwo zwischen uns verstarben, betrachtest mich, als wärest du keinen endlosen Tag, keinen Ewigkeit, durch die Ferne geeilt.

„Es geht mir gut.“, lüge ich und zerfalle in Gedanken.

Du schweigst, und ich bemerke traurig die unausgesprochenen Spuren, die Zeichen an der Wand, die andere Namen tragen, entsinne mich meines Wissens, entsinne mich der Gegenwart, schüttle langsam mit dem Kopf, als könnte ich sie vertreiben.

„Mir auch.“, flüsterst du.
Jede Silbe wiegt Tonnen, hängt wie grauer Regen im Raum, ergießt sich kalt in mein Denken.

Du lächelst nicht, und ich verstehe. Ein trauriges Spiel, das wir spielen, wissend und negierend zugleich.

‚Bist du glücklich … ?‘, liegt es mir im Sinn, ein lauerndes Tier, das in seinem Versteck verharrt, nicht wagt, herauszustürzen, aus Angst, die Beute könnte zu groß, zu gewaltig, sein. Kein „Ja.“ bin ich zu ertragen bereit, kein „Nein.“ wird von deinen Lippen gleiten.

Ich seufze, um die Stille zu vertreiben, blicke dir in die Augen. Keine Furcht. Bedauern vielleicht. Ein mattes Glitzern, als könnte ich…

Du drehst den Kopf weg, blickst aus dem Fenster, durchdringst dein Bild im Glasspiegel, starrst in das lichtlose Dunkel der Nacht, als könntest du dich, uns, dort finden, eine Antwort vielleicht auf meine niemals erklingende Frage.

„Vielleicht sollte ich …“, will ich beginnen, doch verharre stumm, vergesse meine Worte in meinem freudlosen Lächeln.
„… gehen.“, ergänzt du, fast lautlos, lächelst verloren, greifst meine zitternde Hand.

Ich spüre den Regen durch meine Gedanken rauschen und finde kein Lächeln mehr, das ich dir schenken könnte.

„Bleib.“, hauchst du.
Tränen zeichnen glitzernde Spuren auf deine Wangen. Meine freien Finger folgen ihnen, wischen sie zärtlich fort, als heilten sie ein Stück Vergangenheit.

„Erinnerst du dich…“, frage ich nun, und du nickst, beißt dir auf die Lippen, versuchst zu lächeln, während weitere Tränen dein Antlitz benetzen.

„Bleib.“ hauchst du noch einmal und stürzst, der Wirklichkeit entfliehend, in die Obhut meiner Wärme.

Blog-Remix: „Die Begegnung mit der Glasbausteinfrau“

Das Wochenende stand vor der Tür, und die Leere im heimischen Kühlschrank hatte bereits existenzbedrohliche Formen angenommen. Ich schielte auf meine Uhr. Die Zeiger schienen hämisch zu grinsen: Kurz vor Acht.
Ich hatte nichts anderes erwartet.

Vermutlich würde ich, selbst wenn deutsche Geschäftsbetreiber irgendwann die staatlich tolerierte Möglichkeit erhalten sollten, täglich für 24 Stunden ihre Ladenpforten zu öffnen, es trotzdem irgendwie schaffen, erst auf den allerletzten Drücker, erst im letztmöglichen Augenblick, durch die lichtschrankenunterstützte Glastür meines favorisierten [weil nahegelegenen] Einkaufmarktes zu stürmen und in zielorientierter Hast die mehr oder minder nahrhaften Lebensnotwendigkeiten aus den bereits geleerten Regalen zu klauben.

Ebenfalls zu erwarten war, daß ich erst vor den in Kürze schließenden Lebensmittelgeschäftstüren feststellte, daß sich der für den vorübergehende Besitz eines Einkaufwagens notwenige Plastikchip in einer anderen Hose, in einem anderen Rucksack oder in einem anderen Leben befand und daß zugleich ein „echtes“ Eurostück in den überschaubaren Tiefen meines Portemonaies unauffindbar blieb. Selbst durch eifrige Geldwechselversuche [inklusive eines zwar mühsam aufgebrachten, aber dennoch eigentlich überzeugend-freundlichen Lächelns] ließ sich keinerlei passender Ersatz auftreiben.

Seufzend, den regulären Riten eines freitagabendlichen Last-Minute-Einkaufs folgend, krallte ich mir also die nächstbeste Pappe – wissend, daß sie letztendlich doch zu klein sein würde – und begann, durch die neonlichtüberfluteten Gänge zu pirschen, um mir und meinem pelzig-parasitären Mitbewohner das Wochenend-Überleben zu sichern.

Um mich herum wuselten gesichtlose Menschenmassen, zumeist – ebenso wie ich – Opfer ihrer eigenen DummTrägheit, standen im Weg, redeten zu laut oder waren einfach nur viel zu „da“, um erträglich zu sein. Für einen Moment wünschte mir nichts sehnlicher als einen blinkenden, neonroten Stirnaufdruck „Misanthrop“, der jedem menschähnlichen Wesen in meiner Nähe die unmißverständliche Bitte um einen gehörigen Maximal-Sicherheitsabstand in den tumben Schädel hämmern würde.

Ich schüttelte langsam den Kopf, als könnte ich dadurch die wirren Gedanken verscheuchen.
‚Schnell raus hier.‘, dachte ich und tilgte die letzten Geräusche um mich herum mit dem wütenden Elektrogitarrenkrach aus meinen Kopfhörern. Die Welt verstummte, als ich die Lautstärke maximierte, und ich hob amüsiert einen Mundwinkel.

Der Pappkarton war zu klein. Das begiff ich schon nach wenigen Metern, schon nach wenigen, eilig in meinem Arm zusammengerafften Lebensmitteln. Die Pappe war zu klein und würde, sobald ich nicht mehr genügend achtgab, sobald ich meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwendete, unter ihrer Last zusammen-, oder besser: auseinanderbrechen. Auch das war zu erwarten.

Und während ich darum kämpfte, die einzukaufenden Produkte einerseits trageoptimal innerhalb des Kartons anzuordnen, andererseits diesen mit beiden Händen formstabilisierend zu stützen, bemerkte ich eine ältere Frau, die am Ende des Ganges stand und sich verwirrt umsah, als wäre sie von hundsgemeinen Außerirdischen in diese fremde Welt abgesetzt und hier zurückgelassen worden.

Sie war klein, doch nicht klein genug, um übersehen zu werden. Und trotzdem schien es, als hätte sie eine Sphäre unsichtbarer Unnahbarkeit um sich herum errichtet, als würde jeder in ihrer unmittelbaren Umgebung versuchen, diese möglichst schnell wieder zu verlassen und die Frau mit größtmöglichen Ignoranzportionen zuzuschütten.

‚Oh nein.‘, dachte ich, ahnte bereits, was kommen würde, seufzte, hoffte heimlich noch immer auf die Existenz eines wirksamen „Misanthrop“-Schildes auf meiner Stirn und setzte scheinbar unbeteiligt meinen Einkauf fort.
Die alte Frau rührte sich nicht von der Stelle, schien auf jemanden, auf mich, zu warten.

‚O nein.‘, dachte ich nochmals und verlagerte den bereits überfüllten Pappkarton auf meinen rechten Arm.
Die Frau – ich stellte fest, unfähig zu sein, ihr Alter auch nur annähernd schätzen zu können – stand am Ende „meines“ Ganges, reglos, nach vorn gebeugt, als trüge sie eine schier unerträglich Bürde.
‚Ihre Brille vielleicht.‘, dachte ich und grinste humorlos. Ihre Brille wirkte wie ein abscheuliches, modernes Kunstwerk, „Aschenbecher-In-Kunststoff“, wie ein Satz häßlicher Glasbausteine, über dem sich fettiges Haar zu einem traurigen Frisurimitat zusammenfand.

Die Frau roch, nein: stank, nach Schweiß, nach Schweiß und Urin.
Ich seufzte, mal wieder, war schon Schlimmerem begegnet.

Vorsichtig versuchte ich, ihr auszuweichen, wie alle anderen den Blick abzuwenden, war schon fast vorbei, als ich versehentlich mit meinem Karton ihre für diese heißen Temperaturen völlig unpassenden Klamotten streifte. Sie blickte auf, ohne überrascht zu wirken, und sprach mich an:
„Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?

Ich sparte mir einen weiteren Seufzer, jeden „Ich hab’s ja geahnt.“-Kommentar und den Gedanken an mein dringend notwendiges Stirnschild und zerrte die Kopfhörer aus meinen Ohren.
Leise klirrten elektrische Gitarren in die muffige Ladenluft, vermischten sich mit dem kaum wahrnehmbaren Hintergrundrauschen menschlicher Anwesenheiten.
‚Warum ist keiner von denen hier?‘, fragte ich mich wütend, ‚Warum ausgerechnet ich und warum ausgerechnet heute?‘.

Meine Gedanken beiseite schiebend, klebte ich den bestmöglichen Versuch eines Lächelns auf meine Lippen und erkundigte mich vorsichtig:
„Ja?“

Erst beim zweiten Versuch verstand ich sie. Ihre Stimme war leise und brüchig, als traute sie sich nicht zu reden – oder hätte es lange nicht getan.
Hinter übergroßen Glasbausteinbrillengläser blickten zwei Augen hilfesuchend zu mir hoch.

‚Es stimmt.‘, stellte ich mitleidig fest, ‚Mit dem Alter werden wir wieder zu Kindern.‘
Die alte Frau war beinahe wieder im Embryonalstadium angekommen, schien allein kaum lebensfähig zu sein, blickte mich an, als wäre ich ihre Krücke, ihr rettender Engel am Rande des Abgrunds.

Nun war auch ich zum Teil ihrer Sphäre, ihrer Aura, geworden. Ich bemerkte es sofort, denn die übrigen Einkäufer wichen nicht nur der alten Frau aus, sondern auch meinen neugierigen, ja herausfordernden Blicken, als wären sie dank meines selbstlosen Opfers von ihrer Helferspflicht entbunden, von ihrer Menschlichkeitsbürde befreit worden.

Fast erahnte ich das hämisch-erleichterte Grinsen in den Mundwinkeln der Vorbeigehenden, die Belohnung für ihre stupide Ignoranz anderen gegenüber, das Glück, sich aus allem heraushalten zu können, sich nur um ihre eigene Nichtigkeit kümmern zu müssen.
„Schönen Dank, ihr Idioten.“, schimpfte ich – lautlos natürlich.

Weder die Blindheit der Vorbeigehenden, noch die unerträgliche Hilflosigkeit der alten Frau, ihre offensichtliche Bedürftigkeit trugen dazu bei, meine ohnehin unerträgliche Laune zu verbessern..
Doch ich lächelte tapfer, als die alte Frau an meinem Ärmel zupfte und ein kaum vernehmbares Flüstern aus ihrer Richtung meine Ohren suchte.

In überteuerte Designerkleidung gehüllt eilte ein hochgewachsenes Wichtigtuerpaar vorbei. Während die Frau ihrer urtypischen Geschlechterrolle nachging, Nahrungsmittel und andere notwendige Utensilien zusammenzusuchen, beschränkte sich das Männchen darauf, den sich füllenden Einkaufwagen zu schieben und mit abschätzendem Blick die Umgebung zu mustern.
„Das gibt was zu erzählen.“ schienen seine sonnebrillenverhüllten Augen zu sagen, „Im Aldi finden sich immer irgendwelche Freaks.“ Und mit höhnischem Grinsen schaute er zu mir, zu uns, herüber, als wären wir soeben dem Kuriositätenkabinett eines Zirkus‘ entlaufen.
Ich bedachte ihn mit dem finstersten Blick, den ich auf die Schnelle auftreiben konnte, und wandte mich wieder dem Stimmchen zu.

„Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?“, tönten – beinahe lautlos – die Glasbausteine neben mir ein weiteres Mal.

„Ja?“, fragte ich geduldig, „Was denn?“
Ich beugte mich nach unten, um ihr brüchiges Stimmchen besser vernehmen zu können.
Sie lächelte scheu und flüsterte stockend: „Sha-a-aaampooo…?“

Man mußte schon blind sein, um das Shampoo zu übersehen. Ihre Aschenbecherglasbausteine schienen nicht nur abschreckend unattraktiv, sondern auch absolut wirkunsglos zu sein.
Wir waren dem Haarwaschmittel derart nahe, daß ich es schon riechen konnte. Nun ja, beinahe, war doch die Umgebungsluft geschwängert vom markanten Eigenduft der alten Frau.

Diesmal konnte ich den Seufzer nicht unterdrücken, bückte mich und präsentierte ihr die drei möglichen Sorten, auf die die Sortimentsauswahl glücklicherweise beschränkt war.
„Shampoo?“, fragte ich, laut und deutlich, als stünde ich vor einem geistig zurückgebliebenen Kind. Alle verfügbaren Sorten in den Händen haltend präsentierte ich ihr die zur Verfügung stehenden Alternativen:
„Hier: Gegen Schuppen. Für Normal und leicht fettend. Für coloriert.“

Der Fettgehalt ihrer Haare hätten ausgereicht, um das Linoleum der gesamten Aldifiliale in eine glänzende Rutschbahn zu verwandeln, doch wagte ich nicht, ihr die Shampoosorten-Entscheidung vorwegzunehmen. Lange Zeit schwankte sie zwischen „Normal“ [Das „leicht fettend“ würdigte sie mit fast schon damenhafter Ignoranz.] und dem Antischuppenprodukt. Entscheidungen zu treffen fiel ihr offensichtlich ebenso schwer, wie alleine einzukaufen.

„Nein.“, verkündete sie plötzlich, als ich schon überlegte, wie es mir gelingen könnte, mich unauffällig aus ihrem Blickfeld zu stehlen.
„Ich nehme doch das Grüne: für Normal!“, entschied sie und griff vorsichtig nach der grünen Shampooflasche in meiner Hand, als wäre sie das Unikat einer Swarovski-Kristallglaskaraffe.

„Prima.“. Ich seufzte erneut [Das schien zu einer schlechten Angewohnheit zu werden.] und warf die andern Flaschen achtlos an ihre Plätze zurück.
‚Überstanden.‘, dachte ich, rückte den allmählich schwer werdenden Karton auf meinem Arm zurecht und wollte mich verabschiedend abwenden, als ich ihr Stimmchen erneut vernahm.

„Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?“, erklang es flüsternd unter meterdicken Glasbausteinen hervor. „Ist das da Duuuschgee-ee-eel?“
Kraftlos deutete sie auf die Badezusätze in 1,5-liter-Flaschen.
„Nein.“, antworte ich, die letzten Reste meiner Hilfbereitschaft zusammenraffend.
„Das ist zum Baden. – Duschgel ist das hier.“, ergänzte ich und zeigte auf die direkt daneben stehenden Flaschen.
„Ich nehme immer das gelbe.“, half ich ihr weiter. „Das ist super für die Haut.“
„Jaaa?“, höre ich die alte Frau wispern, „Dann ne-ee-e-eehm ich das auch.“
Und tapfer, fast stolz und mit ungewohnter Zielsicherheit, ergriff sie die gelbe Flasche und klemmte sie sich unter den Arm.

Lautlos nickte ihr zu und verabschiedete mich. Irgendwann ist auch meine Geduld erschöpft.
„Schönen Tag noch.“, wünschte ich ihr – und meinte es ernst.

Die alte Frau sah mich an, blickte über ihre Aschenbechergläser hinweg und lächelte, als hätten wir jetzt ein gemeinsames Geheimnis, als verbände uns die Vorliebe für gelbes Duschgel.
Ich lächelte zurück, konnte mich dessen nicht erwehren, und fand sie – für einen Moment und mit fest verschlossenem Riechorgan – beinahe sympathisch.

Erleichtert zog ich von dannen, mit dem guten Gefühl, soeben meine tägliche Pfadfindertat hinter mich gebracht zu haben, eilte, mit dem bleischweren Karon beladen, auf dem Weg zu Kasse an den Sonderangebots-Gartengeräten vorbei. Dort bemühte sich der maskuline Teil des Wichtigtuerpaares gerade darum, einen fachmännischen Kennerblick aufzusetzen und die dargebotenen Werkzeuge kritisch zu mustern.

Höhnisch schenkte er mir sein „Freaks-Aus-Dem-Zirkus“-Grinsen, als ich ihn passierte, und ich ertappte mich, ernsthaft die Frage nachzudenken, ob der Garantieanspruch auf Spaten und Hacken verfiele, wären sie über und über mit Blut und Hirn [von letzterem allerdings eher weniger] besudelt…

Während ich noch in wohligen Gedanken schwelgte, vernahm ich hinter mir die bekannte, bröckelnde Stimme der Glasbausteinfrau, die sich gerade an Mr Wichtig wandte :
„Entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?“

Ich lächelte stumm, verbarg mein Grinsen in den mit Salami-Pizzen befüllten Tiefen einer Kühltruhe.
Die alte Frau ließ nicht locker, zog Mr Wichtig an seinem teuren Designerärmel und fragte leise:
„Daaamenbiii-i-i-inden? … E-e-e-xtra dick?“

Und für einen Moment glaubte ich zu erkennen, wie sie, die kleine, hagere, stinkende Frau, mir über ihre Aschenbecherglasbausteine hinweg schelmisch-vergnügt zuzwinkerte, während sie sich bei Mr Wichtig einhakte und ihn gnadenlos in ihre markante Aura zerrte.

Sein höhnisches Grinsen schmolz in Sekundenschnelle, wich einer ungesunden Gesichtsröte. Er rang nach Worten, doch fand keine, ließ sich willenlos von der alten Frau führen, ziehen, den neonlichtüberfluteten Gang entlang, dorthin, wo die reichliche Auswahl der Damen-Hygiene-Artikel auf ihn wartete.

Blog-Remix: „wasch.mittel.zart.bitter.“

an einem freitag spätnachmittag husche ich, müde und schlecht gelaunt, noch eilig in den discounter meines vertrauens.

nur schnell noch menschen-/katzenfutter, und wein für einen ruhigen abend mit den hoheiten und herzallerliebstem.
ach ja – und waschmittel.
und brötchen fürs hoffentlich besser gelaunte frühstück, morgen.
käse?

natürlich keinen euro klein – und der einkaufswagenchip trampt wahrscheinlich per anhalter durch die galaxis oder treibt sonst was und -wo, jedenfalls ist er nicht an seinem angestammten irgendwo-platz in linus‘ tape- und knöllchenüberfülltem handschuhfach.

sämtliche „könnten sie eventuell 2 euro wechseln“-versuche werden im keim und durch, mich in meiner missmutigkeit um längen schlagende, mitmenschen (pah!) erstickt.

„friday i’m in love“, schießen mir plötzlich „the cure“ durch den kopf und in diesem moment würde ich herrn robert smith gerne eins auf die eh schon rotverschmierte fresse hauen.
(so etwas passiert mir übrigens ausserordentlich selten.)

o.k. – dann eben ohne wagen.

rein ins verhasste getümmel und schon beim zusammenraffen der ersten produkte meines begehrs erhasche ich, augenwinklig, am ende des gangs: eine kleine frau, anscheinend wahllos andere menschen ansprechend, welche sich in diesem moment sofort fluchtartig von ihr entfernen.
„oh, nee – bloß keine muttchen, jetzt“, denke ich und schäme mich dabei ein bisschen, aber derzeitiger launestatus lässt einfach nichts anderes zu.

inzwischen habe ich beide arme fast voll mit geraffel meiner wahl und bin am ende des gangs angelangt:

bei muttchen.

muttchen hat kein schätzbares alter.
sie geht gebückt, als ob sie unter der last ihrer glasbausteinbrille schier zusammenbricht und möfft ein bisschen. – nach schweiss und voll ausgelasteter „tena lady“.
ihr haar ist dünn und fettig. sie selbst scheint recht mager, aber unter der viel zu warmen und schlecht sitzenden kleidung kann ich das nicht mit bestimmtheit ausmachen.

und dann bin ich auch schon dran:

„entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?“, spricht sie mich an.

jetzt, mit dieser leisen, brüchigen stimme, erinnert sie mich an ein aus dem nest gefallenes vogelküken, das blind und verzweifelt nach seiner mutter ruft.
in diesem moment moment möchte ich dem kindchen-schema und dem helfer-komplex genauso eins auf die fresse hauen, wie herrn robert smith.

um uns herum gehen die mir bis dato nachfolgenden konsumenten sichtbar erleichtert ihren erledigungen nach.
„zum glück hat’se mich nicht erwischt“, denken wohl die meisten.
„schönen dank, ihr idioten.“, denke ich.
ich habe keinen bock. echt nicht.
muttchen ist jetzt wirklich das letzte, was ich brauche.

mit einem breit grinsenden – „tse – arme irre… wo ist die denn ausgebrochen…“ zieht ein überstylischer schnösel mit seinem schnösel-gegenstück (weiblich) beim anblick meines stinkenden, kleinen glasbausteinvögelchens an mir vorbei. (es ist ja übrigens grade wieder total „in“, „schnell nochmal“ bei aldi einzukaufen, aber auf die kö nimmt man die tüten anschließend immer noch nicht mit)
in ermangelung eines kragens knirsche ich nur mit den zähnen, statt ihn platzen zu lassen.

„entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?“, piepst es wieder neben mir.

ich gebe auf.

„ja, was denn?“, frage ich das muttchen, dessen alter ich beim anblick ihrer über meinen katzenfutterbepackten arm lugenden augen nun überhaupt nicht mehr einschätzen kann.
sie seufzt erleichtert auf und piepsbrüchelt: „sha-a-aaampooo…?“
das shampoo steht direkt vor uns im regal. unten.
offensichtlich helfen die glasbausteine auch nicht mehr.

ich seufze ebenfalls, nehme, unter anwendung kunstvollster akrobatik, jeweils eine der drei shampoo-sorten aus dem regal und halte sie ihr hin: „shampoo? – hier: gegen schuppen – für normal und leicht fettend – für coloriert.“
mir ist die einzig mögliche antwort klar, doch muttchen schwankt erst noch bedächtig zwischen gegen schuppen und normal (das und leicht fettend lässt sie beschämt aus).
„nein. ich nehme doch das grüne: für normal!“, entscheidet sie sich schließlich doch und nimmt mir ganz vorsichtig ihre favorisierte flasche aus der hand, als wärs ein edelstein.

„prima.“, seufze ich und schmeiße die anderen packungen wieder zurück.
grade will ich „tja dann…“ sagen und weitergehen, als sie wieder ansetzt:
„entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung? … ist das da duuuschgee-ee-eel?“, piepst sie und zeigt auf die badezusätze in 1,5-liter-flaschen.
„nein.“, antworte ich. „das ist zum baden. – duschgel ist das hier.“ (ich zeige auf die flaschen direkt daneben.) „ich nehme immer das gelbe – das ist super für die haut.“
„jaaa?“, flüstert muttchen und: „dann ne-ee-e-eehm ich das auch.“
fast stolz greift sie nach der gelben flasche und klemmt sie sich unter den arm.

„schönen tag noch.“, wünsche ich ihr nun und muttchen lächelnd mich an, über ihre brille.
als hätten wir jetzt ein tolles geheimnis.
ich muss nun doch zurücklächeln und habe sie – mir den „die-tena-ist-voll“-möff wegdenkend – fast ein bisschen gern.

ziehe von dannen. – am schnösel vorbei, der grade mit gegenstück gartengeräte begutäugt, die rücken dekadent und abwertend zum toilettenpapier gedreht, das direkt gegenüber aufgebaut ist.
er lächelt mich an, während ich an ihm vorbeigehe. – mit diesem „tja, einer muss es ja machen“-blick, für den ich ihm… (aber das denkt ihr euch sicher schon).

keine minute später höre ich, betont unauffällig über die tiefkühltruhe gebeugt, wie muttchen den schnösel fragt:
„entschuu-uu-u-u-ldigu-u-ung?
daaamenbiii-i-i-inden? … e-e-e-xtra dick?“

fast glaube ich, dass sie mich, klammheimlich und über ihre glasbausteine hinweg, schelmisch anblinzelt, während sie sich bei ihm einhakt und ihn – mitsamt seiner schlagartig aufsteigenden gesichtsröte – richtung damen-hygiene-artikel zieht.

[„wasch.mittel.zart.bitter.“ entstammt der Feder der geschätzten Rebella und existiert auch als Audio-Variante.]

Blog-Remix: Vorwort

Es ist soweit. Heute werden die Ergebnisse des von Herrn Bandini initiierten Blog-Remixes veröffentlicht.
Den Vorgaben entsprechend werde ich nun beide Texte, das entzückende Original „wasch.mittel.zart.bitter.“ von Rebella und meinen Remix veröffentlichen, auf daß ein vergleichender Blick möglich werde.
Und tatsächlich empfehle ich, auch wenn diversen Lesern das Original nicht unbekannt sein dürfte, sich mit Hingabe beiden Texten zu widmen. Es lohnt sich.

Da jedoch dieser Weblog-Eintrag so eine unerträgliche Länge erhalten würde, erdreiste ich mir, ihn zu zerstückeln, in „Vorwort“, „Original“ und „Remix“ dreizuteilen.
Es sei mir verziehen.

Weniger verzeihbar ist allerdings mein ankündigendes Geschwafel, wenn es denn kein Ende nimmt.

Daher verbliebt mir nicht weiter, als eine angenehme Lektüre zu wünschen und vergnügt in mich hineinzugrinsen.

FFFfF: Mobiles Musikabspielgerät

Das bisherige Schema durchbrechend, bei dem stets zwei Comicstrip zueinandergehörig waren, präsentiere ich heute den sechsten Fred.

Nach ein paar Real-Life-Kritiken habe ich festgestellt, daß Publikumsbefragungen wenig sinnvoll sind, sagt doch jeder etwas anderes.
Die eine wünschte Vampire, hatte aber leider das zweite der ursprünglichen beiden Werke noch nicht zu Gesicht bekommen. Die nächste wünschte sich das Auftreten niedlicher Hunde und Katzen, die von der Fledermaus eingewiesen werden. Dann gab es noch eine auf persönlicher Erfahrung beruhende, durchaus spannende, Sache, bei der eine Fledermaus von einem nachts leuchtenden Swimmingpool angezogen gefühlt hatte und von dort errettet werden mußte.
Ach ja, meine Mitbewohnerin übrigens freut sich über die Comics insbesondere wegen der Würmer und wünscht – natürlich – mehr von denen.

Vielleicht inspiriert mich das alles irgendwann, vielleicht aber auch nicht. Mal sehen.

Wichtiger ist es aber vorerst, den heutigen Comicstrip aufzuzeigen, der den wunderschönen und unkomplizierten Titel
„Mobiles Musikabspielgerät“
trägt und sich – natürlich – auch um ein solches dreht…

Und so.


[Bild klicken für eine geringfügige Vergrößerung.]

P.S.: Wer den Comic nicht durchschaut [Das ist durchaus möglich. Real-Life-Erfahrungen bewiesen es.], dem sei geraten, den allerersten „Fledermaus Fürst Frederick fon Flatter“-Strip zu betrachten…

[Im Hintergrund: Virgin Black – „Elegant…and Dying“]