Früher war sowieso alles besser

Langsam fällt es auf, so sehr, daß ich mich nicht unweigerlich frage, ob ich alt werde. Im übrigen führt selbige Frage zu einer weiteren: Glauben alle älteren Menschen, daß früher alles besser war, beziehungsweise – um es ein wenig zu konkretisieren – daß die Musik früher besser war, beziehungsweise – um es auf den Punkt zu bringen – daß die früheren Alben einzelner Bands besser waren als die aktuellen? Glauben das alle?

Ich glaube es, zumindest derzeit. Jeden Monat gab ich viel zu viel Geld für Original-Alben verschiedener in meinen Augen [oder Ohren] erwähnenswerter Musikgruppen aus [Was für ein bescheuerter Satz. Es ist spät….] und bereute es nicht. Meistens jedenfalls.

Ich gebe zu, in dieser Beziehung etwas eigen, nahezu konservativ, zu sein, es zu mögen, ein Album in den Handen halten, das Booklet und dessen Artwork betrachten, bewundern oder zumindest bewerten zu können, es gar zu lieben, mich spontan anhand des Covers für oder gegen ein Musikwerk zu entscheiden.

Doch die letzten Werke, die mich mittels ihres Covers oder auch nur ihres mir bekannten Interpreten lockten, vermochten allesamt nicht, mich wirklich zu überzeugen. Das hielt mich oft nicht von einem Kauf ab, doch läßt mich nachträglich die Frage formulieren, ob ich denn tatsächlich alt werde.

Erst vor wenigen Monaten fand ich zu den Musikern mit dem amüsanten Namen Grabnelfürsten, kaufte deren damals aktuelles Klangkunstwerk. Und als ich erfuhr, daß ein neueres auf dem Markt zu finden sei, stürmte ich in die Läden, um vorfreudig hineinzuhören – und enttäuscht mir selbst vom Erwerb abzuraten.

Das neue Album von Vanitas kaufte ich – weil ich die anderen beiden – ungekauft – wirklich gut fand. Doch beeindruckt es mich wenig, außer mit der Feststellung, wie sehr es mir leid täte, mir den Aufwand machen zu müssen, es zurückzusenden.

Das aktuelle Album von A Perfect Circle hielt auch nicht, was es versprach, konnte an die Vorgänger nicht anknüfen. Oder My Dying Bride, die nur ein BestOf herausbrachten, auf dem zwar nichts Schlechtes, aber wahrlich auch nichts Neues zu finden ist. Demons & Wizards veröffentlichten eine neue CD, doch vermag ich mich nur den ersten Lieder darauf hinzugeben. Auch das aktuelle Werk von Asp erachte ich nicht für sonderlich wertvoll.

Bei amazon erfahre ich, daß ich auch „Zinoba“ von Zinoba, der Selig-Nachfolgeband zu den unlängst erworbenen Werken zählen kann – übrigens ohne vorher ein Stück gehört zu haben, nur auf den Ruf der Bandmitglieder vertrauend – , und muß beichten, daß Selig für Zinoba unerfüllbar hohe Maßstäbe gesetzt hatte.
Selbst wenn ich ein Stückchen weiter zurückblicke und die letzten beiden Alben von Samsas Traum erwähne [u.a. ein BestOf], fällt mir auf, daß die früheren Werke mich mehr, länger, intensiver, berührten.

Früher.
Aus meinem Mund, in meinem Schädel, klingt dieses Wort albern, lächerlich, falsch. Ich bin, fühle mich, zu jung, um dieses Wort gebrauchen zu dürfen, um zu der Ansicht zu gelangen, daß früher nicht alles, aber so manches besser war.

Und so verteibe ich mir die Zeit mit Rückblicken, höre das 1998er Album von Creed, das mich einst monatelang fesselte, lausche den Alben „Time To Move“ [1994] und „Discover My Soul“ [1996] der H-Blockx, die vielleicht Mitschuld trugen, daß ich in von Elektrogitarren dominierte Musikrichtungen meine Vorlieben zu finden begann.

Ja, ich kehre gar noch weiter zurück, zu „Forever Young“ von Alphaville, zu den früheren Depeche Mode, zu Pink Floyd, den Doors und Creedence Clearwater Revival. Sicherlich lag das zumeist vor meiner Zeit, doch beschert mir dieser Rückblick mehr Freude als ein Blick auf die musikalische Gegenwart.

Lausche ich einfach nur die falschen Klängen? Entging mir, daß die zahlreichen, nicht erwähnten Morast-Gutfindbands nicht minder zahlreiche Alben herausbrachten, deren Qualität die ihrer früheren Werke nicht nur übersteigt, sondern mich in euphorisches Entzücken versetzen werden, sobald ich ihrer einmal [an]hörig geworden sein werde? Oder werde ich tatsächlich alt, so alt, daß ich mich nach Zeiten zurücksehen, in denen die Musik noch gut war?

Doch ich sehne mich nicht nur zurück, freue mich auch auf Neues, wünsche mir, daß das Neues das Alte um Längen schlägt oder zumindest ihm ebenbürtig ist, wünsche mir, daß ich freudig erregt durch die Musikdatenträgerverkaufsläden spaziere und mich nach stundenlangem Reinhören gar nicht entscheiden kann, welches der vielen wahrlich genialen Werke ich denn zuerst erwerben sollte.

Und tatsächlich erlaube ich mir nicht, mir meine Zuversicht rauben zu lassen, harre geduldig des 17. Oktobers, an dem wohl das neue Werk von A Perfect Circle erscheinen soll. Und auch dem 14. November darf ich hoffend entgegenfiebern, weil dann voraussichtlich ein neues Dornenreich-Album veröffentlicht sein wird.

Ich hoffe also noch immer, obgleich die Zweifel bezüglich der Gegenwart und die Tatsache meiner derzeitigen Nahezu-Rückwärtsorientierung nicht vollends beseitigt werden können.
Ich gebe mir alle Mühe, doch vielleicht, möglicherweise, werde ich tatsächlich alt.

[Falls ich irgendwann nur noch von früheren Zeiten schreibe, nur noch darüber, was heute schlecht ist und damals – natürlich – besser war, möge jemand die Gnade haben, mich unmißverständlich – also auch unter Einsatz körperlicher und seelischer Gewaltanwendungen – darauf hinzuweisen.]