Einst nannte ich mich eifrig trainierendes Mitglied eines Leichathletikvereins. Ich, schon immer von schlanker, vielleicht sogar dürrer Statur, brachte keine Höchstleistungen hervor, doch begriff ich mich als guten Langstrecken- und Ausdauerläufer.
Ein- bis zweimal jährlich bot unser Verein ein Trainingslager an, das selbstverständlich einem intensivierten Leistungsaufbau, aber auch einem angenehmen Zusammenfindungseffekt dienen und vor allem Freude bringen sollte. Und das tat es durchaus, wurden doch neben der täglichen Traininsgeinheiten Wanderungen unternommen, Städte besucht und anderen amüsanten Tätigkeiten gehuldigt.
Etwas, das wohl als Bindeglied zwischen „Spaß“ und „Training“ dienen sollte, war die Sauna. Ich war noch nie ein eifriger Repräsentant meines eigenen Leibes gewesen und vor allem mit beginnender Pubertät wenig begeistert von dergleichen Aktivitäten. Doch mir blieb keine Wahl – mein Selbstbewußtsein und mein Verweigerungssinn waren noch nicht sonderlich ausgeprägt -, mich in die Massen einzureihen, die scheinbar tatsächlich Freude zu emfpinden vermochten, anstatt ihrer – meiner Ansicht nach natürlichen – Scham irgendwie Ausdruck zu verleihen.
Das Schönste an der Sauna war für mich das anschließende Abduschen inklusive des dazugehörigen Pulszählens in der Ruhephase. Ich mochte es, meinen Puls zu spüren, mochte es, meinem Herzschlag zu lauschen, zu fühlen, wie lebendig ich war. Ich liebte es zu zählen, wie sehr die Hitze mir zugesetzt hatte, wie eifrig mein Körper bemüht war, Sauerstoff durch meine Adern zu pumpen. Ich genoß es, wenn die erstaunlich hohen Pulszahlen rasch geringer wurden, wenn ich in wenigen Minuten wieder meinem Ruhepuls näherte, wenn ich mir gewiß wurde, daß es mit meiner Kondition doch gar nicht so weit her war.
Der Rest der Sauna mißfiel mir. Dabei war die Hitze noch das geringste Problem. Kinder auf dem Weg in ihr Dasein als Jugendliche, neigen zu Übertreibungen, zu sinnlosen Kraftakten, vor allem, wenn feminine Altersgenossen den eigenen Posen beiwohnen. Also war es nicht nur Pflicht, sich in der Sauna möglichst weit oben zu positionieren, sondern auch noch so lange wie möglich – also, bis der Trainer die Selbstkasteiung abbrach – an dem feuchtheißen Ort auszuharren.
Unsere beiden Trainer – männlich und weiblich – gesellten sich übrigens nie zu uns, was ich nur gutheißen konnte. Das einzige, was sie neben dem Abbruch übertriebener Ausharrungsmutproben und saunaabschließender Zöglingsfürsorge taten, war, in regelmäßigen Abständen die Sauna zu betreten, in der wir alle tapfer schwitzten, sich zu dem Blecheimer neben dem Saunaofen zu begeben, ein wenig in den glühenden Kohlen herumzustochern und dann den Aufguß zu initiieren.
Denn ein Ritual war es durchaus. Schon wenn die Trainerin [in den meisten Fällen war es tatsächlich sie] die Sauna betrat, stöhnten wie alle auf. „O nein!“ Ich glaube, das war es, was den Trainern an der Sauna am besten gefallen hatte: diese kollektive Verzweiflung aus unseren, sonst so großspurig tönenden Mündern.
Über der linken Schulter hing – einer namenlosen Bedrohung, einer unbesiegbaren Waffe, gleich – das Handtuch, das böse, unheilbringende. Nach dem Glutstochern bückte sich unsere Foltermagd stets, entnahm dem Metalleimer eine Kelle aus gleichem Material, tauchte sie in das lauwarme Wasser, zog sie heraus – und verteilte deren Inhalt langsam auf den glühenden Kohlen. Es zischte. Es dampfte. Die Atemluft war übersättigt von Hitze und Feuchtigkeit.
Weitere Kellen folgten. Dann war es vorbei. Nun ja, nicht ganz; schließlich mußte die ofenheiße Luft, der glühende Dampf, noch gleichmäßig um unsere nahezu nackte Leiber verteilt werden. Wir sollten schwitzen, schwitzen, schwitzen.
Und wir schwitzten. Die Trainerin nahm das Handtuch von der Schulter, breitete es aus und begann damit, uns die hitzige Luft zuzuwedeln. Wieder und wieder und wieder. Wir vermochten kaum zu atmen. Es roch, es schmeckte, nach Rauch, nach Kräutern, nach heißem Wasser, nach heißer Luft. Unsere Haut sehnte sich, verlangte nach einer Pause, nach Kühle, nach Wasser, nach Wind, kaltem Wind. Doch wir kannten keine Gnade uns selbst gegenüber.
Zumindest nicht, solange die Mädchen noch bei uns verweilten. Sobald diese allerdings gegangen waren, ihr Recht, das „schwächere Geschlecht“ zu sein, einfordernd, nachdem sie uns verlassen, allein gelassen hatten, atmeten wir auf – und rückten nach unten. Eine Stufe, manchmal auch zwei.
Während des Trainingslagers, während der häufigen Saunabsuche, hatte ich die meiste Zeit in der Mitte gesessen und blieb dort. Ich war kein Held, wollte keiner, konnte keiner sein sein. Schließlich war ich nackt.
Eigentlich war niemand nackt. Nicht wirklich jedenfalls. Ich glaube, ich habe während des Trainingslagers niemals eine Mädchenbrust zu Gesicht bekommen. Die Scham war – unter uns allen – groß genug, um unsere primären [und sekundären] Geschlechtsmerkmale – obgleich noch längst nicht ausgebildet – verhüllt zu wissen. Handtücher leisteten dazu gute, ja hervorragende Dienste.
Ein Handtuch in der Sauna war Pflicht; schließlich durften die Holzbänke nicht mit unserem Schweiß getränkt und somit für andere Nutzer unerträglich gemacht werden. Die Handtücher bildeten das Alibi, das uns half, unserer Furcht vor dem eigenen, vor dem fremden Körper begegnen zu können – zumindest, wenn das eigene Handtuch groß genug war. Meines war nicht sonderlich groß. Mit Mühe bedeckte ich meine privatesten Körperteile und beneidete die anderen, deren Badetücher ausreichend Schutz vor argwöhnischen Blicken boten.
Doch nicht nur mit Handtuch war ich unzureichend ausgestattet. Auch ein Waschlappen fehlte mir. Bei den ersten Saunabesuchen war ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, einen Waschlappen mitzunehmen. Warum auch? Ich war ein Badewannenkind, badete täglich, hatte niemals einen Waschlappen benötigt und wendete einen solchen selbst in Ferien- und Trainingslagern nur sehr ungern an. Der Waschlappen war mir kein vertrauter Freund.
Den anderen aber schon. Und nicht nur Freund, sondern auch hilfreicher Lebensretter sollte er sein. Schließlich warfen für gewöhnlich, nachdem wir geraume Zeit inmitten der Feuchthitze vor uns hingeschwitzt, nachdem sämtliche weibliche Wesen [inklusive aufgießender Erwachsener] den kleinen Saunaraum verlassen hatten und keine Gefahr bestand, in der eigenen Waschlappenaktivität ertappt zu werden, alle noch Sitzenden ihre, von Eigenschweiß getränkten Waschlappen in Richtung des metallenen Aufgußeimers, wohl wissend, daß die kostbare, lauwarme Flüssigkeit eine kurze, aber lebensrettende Abkühlung versprach.
Vielleicht stammt als solcherlei Aktivitäten die Bezeichnung „Wachlappen“ für Weicheier, für jene schlappen Nudeln, die großartig zu sein glauben, aber hinter den Rücken anderer ihrer Schwäche nachgeben. Ich trug niemals einen Waschlappen in einer Sauna bei mir – hatte allerdings auch niemals das Bedürfnis, besonderen Eindruck zu schinden, war doch meine Rolle in den Augen der interessanten Objekte anderen Geschlechts längst vergeben – und vermutlich äußerst unbedeutend.
Ich saß auf der mittleren Bank, als das tragische Ereignis seinen Lauf nehmen sollte. Soeben hatte, zusammen mit dem Folterhandtuch der Trainerin [inklusive seiner Besitzerin, natürlich], das letzte Mädchen die Sauna verlassen. Die oberste Reihe war voll belegt, hatte keinen Platz mehr für mich, der die Sauna als letzten betreten hatte, geboten. Mir war das egal, zumindest bis zu diesem Augenblick.
Doch dann flogen die Lappen. Einer nach dem anderen. Nicht alle trafen in den Eimer. Doch das spielte keine Rolle. Wichtiger war, daß die Waschlappen nicht von alleine zu ihren Besitzern zurückkehren würden, daß es eines Freiwilligen bedurfte, um den sehnsüchtig Wartenden ein paar Augenblicke wohltuender Kühle zu vermitteln.
Ich hatte keine Wahl, saß dem Eimer am nächsten. Obgleich ich keinen eigenen Waschlappen hatte, ergab ich mich seufzend meinem Schicksal. Die anderen würden es mir danken, dachte ich und sah nach oben, wo die Jungs träge ihren Schweiß fließen ließen.
Ich stand auf, kletterte die beiden Stufen hinab, bis ich auf dem gekacheltem Boden stand. Die Kacheln waren kühl unter meinen nackten Füßen, und ich verharrte einen Augenblick, um mich darauf zu konzentrieren.
Gegen Ende einer Saunasitzung, saßen normalerweise ein paar von uns gern dort unten, dort, wo die heiße Luft nicht hinkam, dort, wo sie sich ausruhen, erholen konnten, dort, wo ihnen die letzte Möglichkeit verblieb, in der Sauna zu verweilen, ohne sich die Blöße zu geben, schwächer als die anderen zu sein. Es waren die zwei, drei Jungs, die in unseren [und hier konnte ich mich zu den „Besseren“ rechnen] Augen sowieso längst als nicht sonderlich konditioniert, als nicht sonderlich leistungsfähig abgestempelt worden waren. Interessanterweise machte sie das nicht schlechter. Sie hatten das Recht, dort unten zu verweilen, ihre „Ehre“ zu bewahren und trotzdem nicht schwitzend zu kollabieren.
Ich war mir meiner entblößten Scham bewußt, als ich auf den Kacheln stand. Mein Handtuch war nicht ausreichend groß gewesen, um es mir um die Hüften zu binden, hatte auf der mittleren Stufe verweilen müssen, damit ich beide Hände frei hatte, um alle Lappen auflesen zu können. Ein paar von ihnen schwammen im Eimer. Einer hing über dessen Rand. Der Rest lag daneben.
Ich sammelte alle fehlgeworfenen Waschlappen auf und ließ sie sich zu denen im Eimer gesellen.
Dann bückte ich mich, mein Genital mit meinem rechten Arm unauffällig verdeckend, den Blick starr in den Eimer gerichtet. Ich war unvorsichtig, unbedacht, stand ungünstig.
Heiß! Unglaublich heiß brannte es mit einem Mal an meinem Hintern, an meiner linken Pobacke!
Was war geschehen?
Ich hatte mich gebückt und meinen Hintern immer näher an den glühenden Ofen gerückt – bis schließlich der Kontakt zustande kam. Ich schrie auf, ließ alle Lappen fallen, eilte aus der Sauna, ohne an mein Handtuch, an mein entblößtes Genital, an meine „Ehre“ zu denken.
An das nun Folgende kann ich mich kaum noch entsinnen. Eine Untersuchung der Trainer. Erniedrigend. Die neugierigen Blicke, die schockierten Gesichter der frischgeduschten, pulszählenden Mädchen. Erniedrigend. Ich stand im Mittelpunkt, doch wollte es nicht. Der Schmerz war immens, doch schlimmer war es, daß es mein Hintern war, der schmerzte, brannte.
Ein Arzt. Ich entblößte mein Hinterteil, bekam Salbe, Puder und Pflaster verschrieben. Riesige Pflaster. Wenn ich mich setzte, mußte ich aufpassen.
Das restliche Trainingslager lief weitestgehend ohne mich ab. Das war schade, betrübte mich. Ich mochte es nicht herumzusitzen, den anderen zuzusehen, mochte es nicht, im Ruheraum zu warten, bis die ersten aus der Sauna flohen, die gefährliche Hitze mit kaltem Wasser abspülend, mochte es nicht, mit mitleidsvollen Blicken bedacht zu werden.
Nur eines erwies sich als wirklich praktisch, als gut, als erlösend, schenkte mir Trost, ja, zuweilen sogar ein Lächeln:
Für den Rest des Trainingslagers war ich von jeglichen Saunabesuchen befreit!