Plattensammlung

Mein Vater hatte stets einen Musikgeschmack, für den ich ihn bewunderte. Während ich bis heute Schwierigkeiten habe, die musikalischen Vorlieben meiner Mutter einzordnen, hatte doch Vatis umfangreiche Plattensammlung einen beeindruckenden Aussagewert, den ich heute, da ich meine Teenie- und Hitparadenmusikzeiten hinter mir gelassen habe, umso höher einzuschätzen weiß.

Ich denke an Alben von Creedence Clearwater Revival, an T.Rex, an Pink Floyd, an The Electric Light Orchestra, an Jethro Tull, an Van Halen und viele weitere, die vermutlich nicht zuletzt auch meinen Musikgeschmack prägten und von Anfang an in rockigere Richtungen lenkten. [Meine ersten eigenen Original-Kassetten: Bryan Adams und Roxette – noch stark beeinflußt durch ein ständig dudelndes Radio.]

Nach dem Tod meine Vaters flehten mein Bruder und ich unisono meine Mutter an, sie möge die Platten unter keinen Umständen ihrem Umzug zum Opfer fallen lassen, erboten uns freiwillig, die sperrigen Datenträger in unseren Eigenbesitz überzuführen. Diese jedoch blieb stur, wußte unter den Platten auch solche, die ihr gefielen, hätte sich auch niemals von den anderen trennen wollen. Wir waren besänftigt und erfreuten uns der Existenz einer solchen, unschätzbar wertvollen Sammlung, einer unerschöpflichen Goldgrube genialer Musik.

Nun gut, nicht alles war ideal. Manfred Krug zum Beispiel, oder Neil Diamond – damit konnten wir nicht allzu viel anfangen. Doch die vielen, selbst in unseren jugendlichen, unwissenden Augen wahrlich guten Werke [zu nicht geringen Teilen aus der Sowjetunion importiert – ich amüsiere mich noch heute über die russische Schreibweise von „Jethro Tull“] bildeten eindeutig ein positives Übergewicht, glorifizierten den Musikgeschmack unseres Vaters.

Ich hatte immer geglaubt, die Alben, die mein Vater so sehr gemocht hatte, wären „Underground“ gewesen, alternative, chartunabhängige Musik. Als ich eines Tages jedoch das Hallenser Beatles-Museum aufsuchte und eine an der Wand hängende Hitparadentabelle studierte, stellte ich fest, daß sich zwar irgendein Album von den Beatles auf Platz 1 befand [was wohl der Grund war, warum diese Tabelle im Museum überhaupt gezeigt wurde], doch danach gleich „Green River“, ein wahrlich hörenswertes Album von CCR folgte. Auf Platz 2. Ich war schockiert, suchte nach Erklärungen.

Wie sollte ein DDR-Staatsbürger auch von der Underground-Musik des kapitalisitischen Auslands erfahren haben?, fragte ich mich. Gab es damals eigentlich schon eine Independent-Szene, gab es den heute so mystifizierten „Underground“ überhaupt? War derartiges überhaupt nötig, wo doch die Musik der Hitparaden mit den Beatles und CCR eindeutig als gut zu bezeichnen war?

Ich weiß es nicht, und mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Vorstellung, daß mein Vater kein überinformierter Szene-Junkie gewesen war, sondern schlichtweg jemand, der gute Musik mochte – und sei sie auch von der breiten Masse in Chartpositionen erhoben worden.

Heute ist das anders: Nach guter Musik suchend wird man in den Hitparaden kaum fündig werden – eigentlich eine absurde, fast Situation, die zu akzeptieren ich wohl niemals bereit sein werde. Und so schließe ich die Augen, lausche einer Platte meines Vaters und sehne mich für ein paar Minuten nach einer Vergangenheit, die ich nie erlebte.