Schminkpanik

In meiner ersten Wohngemeinschaft lebte ich mit zwei Studentinnen zusammen. Wenn ich diesen Umstand in geselliger Runde kundtat, erntete ich von den Männern zumeist ein neidisches Grinsen. Ein Mann, zwei Frauen – genug Nahrung für mehr oder minder schmutzige Phantasien. Weibliche Anwesende jedoch schenkten mir stets mitleidige Blicke und Worte – und sie hatten recht. Tatsächlich fühlte ich mich innerhalb der WG-Wände nicht selten unterdrückt.

Egal, worum es ging, ich konnte darauf wetten, daß die beiden Frauen sich zusammenschlossen, um gemeinsam eine andere Meinung zu vertreten als ich, um mir gemeinsam Contra zu geben und mich mit einander ergänzenden Wortfluten an die Wand zu reden. Und wenn ich dann noch immer stand, noch immer diskutierte, noch immer meine Ansicht vertrat, flüchteten die beiden stets in unsachliche, themenunabhängige Kritik an meiner Männlichkeit.

Nicht, daß mich das schmerzte oder beeindruckte, doch steter Tropfen höhlt den Stein, und wenn man[n] mehrmals täglich gesagt bekommt, der nächste Mitbewohner werde ein „richtiger Mann“ und wenn man[n] ergänzend mit allerlei unmännlichen Attributen belegt wird, dann ist nahezu vorprogrammiert, daß irgendwann eine Retourkutsche erfolgen wird.

Meine heimliche Art der Rache war es, den Mädels zuzuschauen, wie sie vor einer Verabredung stundenlang vor dem Badezimmerspiegel standen, um sich zu frisieren und zu bemalen. „Stundenlang“ ist keine Übertreibung, war es doch üblich, anderthalb Stunden vor dem Verlassen der Wohnung, das Badezimmer mit kosmetischem Allerlei zu blockieren – und das täglich. Niemand – abgesehen von meiner Wenigkeit natürlich – durfte jemals einen Blick auf das ungeschminkte Gesicht meiner Mitbwohnerinnen werfen, durfte die farbige Fassade durchbrechen und das wahre Antlitz beschauen.
Im Bad stehend gerieten die Schönheitsfanatikerinnen stets unter Zeitdruck, fragten mich alle paar Minuten gestreßt nach der Uhrzeit.

„Wie spät?“, tönte es vom Spiegel her.
Gelassen schaute ich auf die Uhr – und addierte eine Viertelstunde.
„22.31 Uhr.“, meldete ich und erfreute mich des nun folgenden Schauspiels.
„Waaaaah!!!“.

Wie Furien hasteten die Mädels plötzlich durch die Wohnung, klaubten eilig Schuhe, Klamotten, Bürsten, Haargummis und restliches Schminkzeug zusammen, warfen alles auf einen Haufen, besahen sich im Spiegel, schmissen benötigtes Mitnehmutensiliar in ihre winzigen Taschen, rannten wieder ins Bad, schminkten sich weiter, frisierten sich weiter, hektisch, rastlos – bis ich nach mehreren unterhaltsamen Minuten genießerischen Beobachtens gnädigerweise meinen „Irrtum“ eingestand.

Glücklicherweise lernten die beiden niemals, einfach eine funktionstüchtige Zeitanzeige ins Bad mitzunehmen, so daß sie sich immer wieder auf meine Aussage zu verlassen hatten – und immer wieder in jene Panik verfielen, die ich an ihnen so sehr schätzte.